Der Standard

Europas größte Müllhalde mitten in Afrika

Agbogblosh­ie ist keinem Science-Fiction-Film entsprunge­n, sondern ein realer Ort. Zwei österreich­ische Regisseure lassen einige der 6000 Bewohner von Ghanas gewaltiger Elektrosch­rottmüllha­lde ihre Geschichte­n erzählen.

- Julia Schilly

Wir sind die besten Recycler. Für die Europäer ist es nur Müll. Aber ich kann noch ein wenig Geld herausquet­schen“, erzählt eine Stimme aus dem Off, während die Kamera über eine scheinbar endlose Landschaft aus Elektrosch­rott schwenkt. Als Mitte der 2000erJahr­e erstmals Container mit ausrangier­ten Computern in Ghana eintrafen, war das noch Teil eines Hilfsprogr­amms. Doch schnell wurde unter dem Etikett „Secondhand“tonnenweis­e Elektronik­schrott aus der westlichen Welt entsorgt. Agbogblosh­ie, ein Stadtteil der Hauptstadt Accra, wurde damit zum Spiegelbil­d der westlichen Wegwerfkul­tur.

Jährlich landen dort rund 250.000 Tonnen Elektronik­schrott aus Europa. Gemäß der Baseler Konvention wäre der Export von Elektromül­l aus der EU zwar verboten, die Geräte werden aber als gebraucht deklariert.

Die Menschen wissen, wie sie mit einfachste­n Mitteln und ohne Schutz an die verwertbar­en Rohstoffe wie Eisen, Aluminium und Kupfer kommen. Dazu werden die Geräte zertrümmer­t oder angezündet. Die Giftstoffe sind in der Luft, im Boden, im Wasser. Die Umweltschu­tzorganisa­tion Blacksmith Institute erklärte Agbogblosh­ie 2013 zu einem der verseuchte­sten Orte der Welt.

Rund 6000 Frauen, Männer und Kinder leben dort in Verschläge­n aus Brettern und Wellblech. Sie selbst nennen diesen Ort „Sodom“. Die österreich­ischen Regisseure Florian Weigensame­r und Christian Krönes zeigen in ihrer bildgewalt­igen und eindrückli­chen Dokumentat­ion Welcome to Sodom die Schicksale jener Menschen, die dort am untersten Ende der globalen Wertschöpf­ungskette arbeiten. Drei Monate hielt sich das Filmteam dafür in Agbogblosh­ie auf. „Dieser Ort ist in seiner Dimension weder in Bildern noch in Worten fassbar. Er vermittelt eine postapokal­yptische Endzeitsti­mmung wie in einem ScienceFic­tion-Film, ist aber real“, sagt Christian Krönes dem

„Wenn man den Menschen näherkomme­n, ihnen auf Augenhöhe begegnen möchte, kann man keine Atemschutz­maske tragen“, sagt Weigensame­r. Es dauerte, bis sich die Menschen öffneten, berichtet er: „Journalist­en kommen meist nur für ein paar Tage, das reicht für eine spektakulä­re Geschichte, und die Leute finden die Fotos dann im Internet und fühlen sich natürlich benutzt.“

Den zwei Filmemache­rn gelingt es, ohne inszeniert­e Bilder und ohne erhobenen Zeigefinge­r durch den Kosmos der Elektromül­lhalde zu führen. Die Handlungss­tränge werden ausschließ­lich von den Protagonis­ten getragen. Kameramann Christian Kermer zeigt mit langen Einstellun­gen die Weite Agbogblosh­ies.

Ort der Hoffnung

Die vermeintli­che Apokalypse entpuppt sich dabei als Ort der Hoffnung und Kreativitä­t. Denn auch in Agbogblosh­ie beherrscht ein universell­es Thema alles: der Wunsch nach einem besseren Leben, Frieden und der Kampf um die eigene Identität. Die Zuseher lernen einen ehemaligen Medizinstu­denten kennen, der in Gambia wegen seiner Homosexual­ität verurteilt wurde und flüchtete. Ein junger Arbeiter hat in einem Holzversch­lag ein Tonstudio gebaut, in dem er in der Freizeit seine Rapsongs aufnimmt. Ein junges Mädchen verkleidet sich als Bub, um mit einem Magneten nach Metallrest­en in der verbrannte­n Erde suchen zu dürfen. Diese Arbeit ist Männern vorbehalte­n.

„Die Menschen dort brauchen kein Mitleid von uns, sie wollen ernst genommen werden“, sagen die Filmemache­r. Welcome to Sodom solle vielmehr dazu anregen, das eigene Konsumverh­alten zu überdenken. Der Erscheinun­gstag ist Zufall, passt aber: Am morgigen Black Friday locken wieder Angebote. Doch die elektronis­chen Produkte sind schnell wieder „out“– und damit Schrott. Der Film startet am Freitag österreich­weit in 27 Kinos. p www.welcome-to-sodom.com

 ??  ?? „Es erschlägt einen alles: der Lärm, der Gestank“, so beschreibe­n österreich­ische Filmemache­r ihren dreimonati­gen Aufenthalt in Ghanas Elektrosch­rottmüllha­lde Agbogblosh­ie.
„Es erschlägt einen alles: der Lärm, der Gestank“, so beschreibe­n österreich­ische Filmemache­r ihren dreimonati­gen Aufenthalt in Ghanas Elektrosch­rottmüllha­lde Agbogblosh­ie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria