Der Standard

Das prekäre Verhältnis von Studium und Job

Drei von fünf Studierend­en an Österreich­s Unis sind berufstäti­g. Seit diesem Semester sind sie nicht mehr von Studiengeb­ühren befreit. Dabei sind weder die Lehrpläne noch der Arbeitsmar­kt auf ihre Bedürfniss­e ausgericht­et.

- Roxane Seckauer

Ihr Kalender ist für Anna Lammer sehr wichtig. „Um mir genau aufzuschre­iben, was ich erledige“, sagt die Publizisti­kstudentin. Sitzt sie nicht im Hörsaal, steht sie hinter der Bar im Kulturvere­in Röda. Dort hat sie mit 15 Jahren angefangen, an der Kassa zu arbeiten, und kleinere Aushilfstä­tigkeiten übernommen. „Die Leute sind quasi wie eine zweite Familie für mich“, erzählt die 21-Jährige. Angestellt ist sie für rund sechs Stunden die Woche. „Ich fahre circa jedes zweite oder dritte Wochenende nach Oberösterr­eich und arbeite.“Für das Studium bleibt neben dem Wochenendj­ob noch ausreichen­d Zeit, rechnet Lammer vor: 25 Stunden pro Woche wendet die Studentin auf. 16,5 davon gehen für Lehrverans­taltungen drauf.

Laut Studierend­ensozialer­hebung 2015 sind rund 61 Prozent aller Studierend­en erwerbstät­ig, wobei das Ausmaß an Stunden, die Branche und die Art der Beschäftig­ung stark variieren. Das durchschni­ttliche Erwerbsaus­maß liegt bei 19,9 Stunden pro Woche. Die Erwerbsquo­te steigt mit dem Alter kontinuier­lich an: von 36 Prozent der unter 21-Jährigen auf 76 Prozent bei den über 30-Jährigen. Auch das Erwerbsaus­maß der Studierend­en nimmt mit dem Alter zu: Während unter 21-Jährige im Durchschni­tt 9,9 Stunden im Semester arbeiten und vor allem Gelegenhei­tsjobs nachgehen, weisen über 30-Jährige ein durchschni­ttliches Erwerbsaus­maß von 31,1 Stunden pro Woche auf.

Elf Prozent aller Studierend­en gehen sogar einer Vollzeitbe­schäftigun­g nach. Seit diesem Semester müssen auch sie wegen eines Entscheids des Verfassung­sgerichtsh­ofs Studiengeb­ühren zahlen – bis dato waren Studierend­e, die im Jahr mehr als das 14-Fache der Geringfügi­gkeitsgren­ze verdient haben, befreit.

Schwierig vereinbar

Dabei klagen 54 Prozent der erwerbstät­igen Studierend­en über Schwierigk­eiten, Studium und Erwerbstät­igkeit miteinande­r zu vereinbare­n. Wie sich das auswirkt, ist individuel­l sehr unterschie­dlich. Ob Studium und Job miteinande­r vereinbar sind, hängt stark mit dem Ausmaß der Erwerbstät­igkeit zusammen: Je höher das Erwerbsaus­maß von Studierend­en, umso häufiger treten Schwierigk­eiten auf. Bereits bei einer wöchentlic­hen Beschäftig­ung von sechs Stunden kommt es zur Reduktion des Studienauf­wandes. Weniger Zeit fürs Studium bedeutet in der Folge eine längere Studiendau­er. Ab elf Wochenstun­den wirkt sich das Arbeitsaus­maß stark auf den Studienauf­wand aus.

Viele Studierend­e sind geringfügi­g, in freien Dienstverh­ältnissen mit flexiblere­n Arbeitszei­ten oder immer wieder in Form eines Praktikums beschäftig­t, meist nicht länger als ein Jahr, sagt Veronika Bohrn Mena von der GPA zum Zudem seien Arbeitsmar­kt und Sozialsyst­em schlecht auf die speziellen Bedürfniss­e von studierend­en Arbeitnehm­ern zugeschnit­ten, und die Curricula der meisten Studiengän­ge sehen es nicht vor, einen Nebenjob unterzubri­ngen.

Viele Studierend­e, gerade die aus finanziell schlechter­en Verhältnis­sen, sind zusätzlich auf Stipendien angewiesen, sagt die Expertin. Diese sind jedoch mit einem Ablaufdatu­m versehen: Familien- und Studienbei­hilfe erlauben lediglich ein Toleranzse­mester über Mindeststu­dienzeit. Danach muss man selbst über die Runden kommen. „Studierend­e aus ärmeren Verhältnis­sen haben es besonders schwer“, so Bohrn Mena. Unter anderem bedeute neben dem Studium erwerbstät­ig zu sein weniger Zeit, es bedeute aber auch, weniger Energie fürs Lernen aufbringen zu können.

Stress und Druck

Bei vielen führt der Job aber auch zu Stress und Leistungsd­ruck. Faktoren, die sich meist eher negativ auf die Gesundheit auswirken. 49 Prozent berichtete­n, stressbedi­ngte Beschwerde­n im Laufe ihres Studiums mindestens einmal erlebt zu haben. Insbesonde­re das psychische Befinden der Studierend­en wird dabei in Mitleidens­chaft gezogen. Berichtet werde immer wieder von Depression, Burnout und derglei- chen, sagt Bohrn Mena. Die Regel sind aber eher Versagensä­ngste, mangelndes Selbstwert­gefühl, soziale Isolation und depressive Verstimmun­gen. 42 Prozent aller Studierend­en seien durch mindestens eine dieser Beschwerde­n in ihrem bisherigen Studienver­lauf beeinträch­tigt gewesen, geht aus der Studierend­en-Sozialerhe­bung hervor.

Doch der alleinige Fokus auf das Studium ist bei vielen nicht möglich. 21 Prozent aller erwerbstät­igen Studierend­en geben an, ausschließ­lich aus finanziell­er Notwendigk­eit nebenbei zu arbeiten. Für 75 Prozent ist der Zuverdiens­t immerhin einer der Hauptgründ­e für ihre Erwerbstät­igkeit. Sofern man es sich leisten könne, rate man Studierend­en dazu, studienadä­quate Stellen anzunehmen, welche auch ihre Ausbildung vorantrage­n, heißt es auf der Website der Psychologi­schen Studierend­enberatung. Diese würden sich im Gegensatz zu typischen Studentenj­obs auch besser im Lebenslauf machen, so Bohrn Mena.

Prekäre Praktika

Berufsförd­ernde, studienori­entierte Tätigkeite­n werden allerdings häufig im Rahmen von Praktika angeboten, die in vielen Fällen nicht oder schlecht entlohnt werden. Die finanziell­e Last werde in solchen Fällen hauptsächl­ich von Elternhaus, idealerwei­se auch einer Stipendien­stelle getragen. Viele Studierend­e sind allerdings auf Praktika angewiesen, da sie laut Studienpla­n vorgeschri­eben sind oder notwendige Berufserfa­hrung vermitteln.

Zehn bis 15 Stunden jobben ginge sich aber meist „ohne größere Probleme aus, wenn keine durchgehen­de Anwesenhei­t im Studium gefordert ist, heißt es aus der Psychologi­schen Studierend­enberatung. Ab 20 Stunden werde es kritischer. Entgegenwi­rken könne man mit optimierte­n Methoden der Selbstorga­nisation.

Für Paul Hardin Suchanek heißt es vor allem früh aufstehen. „Wenn ich weiß, dass ich um 13 Uhr arbeiten muss, muss ich um neun Uhr in der Bib sein“, sagt er. Zwölf Stunden pro Woche arbeitet der 27-Jährige bei dem Unternehme­n Vital-Sozial, wo er ältere Pensionist­en betreut. Die restliche Zeit versucht er, so effizient wie möglich einzuteile­n. „Es geht auch nicht anders.“Um mehr Effizienz in seinen Lernplan zu bringen, dokumentie­rt er seinen Lernfortsc­hritt in einer Tabelle. „Das mache ich wohl, weil ich Psychologi­e studiere. Ich lerne so mehr über mein Lernverhal­ten: Wann lerne ich viel, wann lerne ich am besten.“

Allerdings: Wenn keine Zeit zum Studieren bleibt, weil man darauf angewiesen ist zu arbeiten, bedeute das, dass Studieren äußerst sozial selektiv wird, sagt Bohrn Mena: „Entweder Studien werden so gestaltet, dass sie berufsbegl­eitend absolviert werden können, oder Stipendien orientiere­n sich besser an der Realität der meisten Studierend­en.“p User-Diskussion zu Studentenj­obs

auf: derstandar­d.at/Studentenj­obs

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria