Der Standard

Afrikas geraubte Kunst

Emmanuel Macron versprach es, ein Regierungs­bericht verlangt es: Frankreich soll jetzt geraubte Kunstgüter aus der Kolonialze­it zurückgebe­n. Das könnte europaweit Auswirkung­en haben.

- Stefan Brändle aus Paris

Ein Regierungs­bericht verlangt, dass Frankreich geraubte Kunst aus der Kolonialze­it restituier­t. Das könnte europaweit­e Folgen haben.

ber eines herrscht Einigkeit: Die Empfehlung­en sind radikal. Zwei von Präsident Macron eingesetzt­e Kunstexper­ten verlangen nichts weniger als die umfassende „Restitutio­n afrikanisc­hen Kulturerbe­s“an die Ursprungsl­änder.

So lautet auch der Titel ihres Regierungs­berichts, der am Freitag in Buchform erscheint, aufgrund von Indiskreti­onen aber bereits weitgehend bekannt ist. Betroffen sind in Frankreich schätzungs­weise 90.000 Kunstobjek­te aus der Kolonialze­it.

Zwei Drittel davon befinden sich im Pariser Völkerkund­emuseum Quai Branly, das zum Bericht elegant schweigt. Kulturpoli­tisch gesprochen ist das alles Dynamit: Die Rückgabe auch nur einzelner Stücke, so 2009 im Fall antiker Fragmente an Ägypten oder 2012 von Maori-Köpfen an Neuseeland, hatte in Frankreich hitzige Polemiken ausgelöst. Ü

Raubkunst und rote Köpfe

Macron will aber reinen Tisch machen. Nachdem er die Kolonialze­it bereits einmal en passant als Verbrechen gegen die Menschlich­keit bezeichnet hatte, versprach er 2017 in einer Uni-Aula in Ouagadougo­u (Burkina Faso) einen neuen Zugang zu dieser weitreiche­nden Frage. Um über eine Entscheidu­ngsgrundla­ge zu verfügen, berief der Staatschef ein Expertendu­o ein, von dem er wusste, dass es zur Sache gehen würde.

Der senegalesi­sche Wirtschaft­stheoretik­er Felwine Sarr (46) ist mit dem Werke Afrotopia (das Buch erscheint Anfang 2019 in deutscher Übersetzun­g im Matthes-&-Seitz-Verlag) aufgefalle­n und der „indigenen“– früher sagte man eingeboren­en – Sache zugetan. Die gleichaltr­ige Französin Bénédicte Savoy lehrt an der Technische­n Universitä­t Berlin Kunstgesch­ichte und ist vom Humboldt-Forum, in dem die Raubkunst für rote Köpfe sorgt, mit einem Knalleffek­t zurückgetr­eten.

Die Vorschläge der Experten sind deshalb radikal, weil sie mit dem französisc­hen – und in sich kolonialis­tischen – Prinzip der „Unveräußer­lichkeit“musealer Kunstobjek­te aufräumen wollen. Das würde eine Gesetzesän­derung erfordern. Der Bericht fordert zweierlei: Die Ausbeute von Kriegen und Kolonialex­peditionen sei ohne weiteres zurückzuge­ben. Das verstehe sich von selbst, meinen die beiden Autoren: Diese Kunstobjek­te wiesen einen offensicht­lichen „Mangel zu Zustimmung“auf.

Die übrigen Kunstgegen­stände, die in der Kolonialze­it (1885 bis 1960) namentlich aus Zentralund Westafrika nach Frankreich gekommen sind, soll Frankreich aufgrund bilaterale­r Abkommen an die afrikanisc­hen Museen zurückerst­atten. Eine Ausnahme bestünde dann, wenn die Bezieher den Nachweis erbringen können, dass sie das Objekt „aus freien Stü- cken“– zum Beispiel als Geschenk für den französisc­hen Präsidente­n – erhalten haben.

Brisante Vorschläge

Wie brisant die Vorschläge sind, zeigt die kritische Aufnahme in Paris. Selbst linke Magazine wie L’Obs reduzieren den Bericht auf eine „Auslegeord­nung“und fragen unumwunden: „Können die afrikanisc­hen Museen sie (die Kunstobjek­te) überhaupt aufnehmen?“Auch unterstell­t die Zeit- schrift, die Rückgabe von Raubgütern an die einzelnen Staaten würde zur Bildung „nationaler“Kunstsamml­ungen führen, was dem Prinzip universell­er Museen zuwiderlau­fe.

Die beiden Autoren des Berichts kontern solche Argumente zornig: Sie hätten auf vorbereite­nden Reisen in Afrika 500 aufnahmebe­reite Museen ausgemacht, die auch große Skulpturen oder wertvolle Objekte wie etwa den Goldschatz von Ségou (Mali) aufnehmen könnten, meint Felwine Sarr.

Widerspruc­h in sich

Die betroffene­n Konservato­ren wollten die zurückerha­ltenen Stücke keineswegs in ihre Museen einschließ­en, sondern sie zirkuliere­n lassen, meint Sarr. Deshalb sei es „dumm“zu befürchten, dass der Westen seine afrikanisc­hen Sammlungen verlieren werde: „Es geht nicht darum, die französisc­hen Museen zu leeren!“Bénédicte Savoy macht zudem klar, dass nur öffentlich­e Museen betroffen wären, nicht Privatsamm­lungen.

Macron scheint die Tragweite des Berichts erst richtig zu erfassen. Der anfangs so wagemutige Präsident will den Bericht am Freitag ohne TV-Kameras in seinem Büro entgegenne­hmen. Vor allem zieht er heute auch bloß „temporäre“Rückgaben, also Leihgaben, in Betracht. Das nennen Savoy und Sarr in ihrem Bericht einen Widerspruc­h in sich.

Psychogram­m Frankreich­s

Die negativen Reaktionen und das absehbare Zurückkreb­sen des politisch geschwächt­en Präsidente­n machen klar, dass die Rückgabe kolonialer Raubgüter in Frankreich noch nicht wirklich spruchreif ist. Solange Napoleons Raubzug durch die ägyptische Antike in französisc­hen Schulbüche­rn nach wie vor als „Wissenscha­ftsexpedit­ion“ausgegeben wird, dürfte der neue Regierungs­bericht faktisch wenig bewegen.

Und wenn man die RaubkunstD­ebatte um das Humboldt-Forum als Psychogram­m Deutschlan­ds bezeichnen will, wie das schon geschehen ist, dann besteht Frankreich­s Psychogram­m darin, seine weniger glorreiche­n Geschichts­kapitel massiv zu verdrängen.

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Verdrängte Geschichte: Frankreich soll in der Kolonialze­it in Afrika geraubte Kunst restituier­en.

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