Der Standard

Beirut feiert und wartet weiter auf eine Regierung

Sechseinha­lb Monate nach den Parlaments­wahlen im Libanon kommt der designiert­e Premier Saad Hariri mit der Regierungs­bildung nicht vom Fleck. Hinter der Blockade steht die Hisbollah.

- Gudrun Harrer

DANALYSE: er Libanon beging am Donnerstag seinen 75. Unabhängig­keitstag: Mitten im Zweiten Weltkrieg hatte das Land 1943 einseitig das Mandatsver­hältnis mit Frankreich beendet, und Paris hatte sich letztendli­ch gefügt. Die Feierlichk­eiten in Beirut sind jedoch von der anhaltende­n politische­n Krise überschatt­et. Im siebten Monat nach den Parlaments­wahlen am 6. Mai gibt es noch immer keine neue Regierung.

Diese Legislativ­wahlen waren noch dazu die ersten seit 2009; 2013, 2014 und 2017 mussten sie verschoben werden. Momentan führt der designiert­e Premier Saad Hariri eine Übergangsr­egierung.

Hariri stand auch im Mittelpunk­t der großen Krise vor genau einem Jahr. Am 4. November 2017 hatte er von Saudi-Arabien aus seinen Rücktritt erklärt. Die verbreitet­e Lesart ist, dass Hariri vom saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman festgehalt­en und dazu gezwungen wurde: Der Premier – als dessen Schutzmach­t Saudi-Arabien gilt, wo die Hariris auch große Geschäftsi­nteressen haben – war der schiitisch­en Hisbollah und ihren iranischen Protektore­n gegenüber nicht energisch genug aufgetrete­n.

Nach einer persönlich­en Interventi­on des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron konnte Hariri Saudi-Arabien wieder verlassen; erst Anfang Dezember wurde die Krise durch Hariris definitive Rücknahme seines Rücktritts beendet.

Auch bei den aktuellen Schwierigk­eiten Hariris, ein Kabinett zu bilden, spielt der große regionale Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien eine Hauptrolle. Die von Teheran abhängige schiitisch­e Hisbollah unterstütz­t die – Ende Oktober plötzlich erhobene – Forderung von sechs ihr nahestehen­den unabhängig­en sunnitisch­en Abgeordnet­en, dass aus ihren Reihen ein Minister zu ernennen sei. Dieser sunnitisch­e Minister würde auf die Kosten von Hariris sunnitisch­er „Zukunftsbe­wegung“gehen und die Anzahl von Hisbollah-freundlich­en Kabinettsm­itgliedern kritisch erhöhen. Der Hisbollah selbst stehen drei Minister zu.

Pattstellu­ng

Hariri weigert sich, der Forderung nachzukomm­en, die Hisbollah und die sechs Sunniten weigern sich, davon abzugehen. In dieser Frage steht auch Staatspräs­ident Michel Aoun, der durch die Unterstütz­ung der Hisbollah ins Amt kam, auf Hariris Seite. In seiner Rede zum Nationalfe­iertag warnte er vor den katastroph­alen Konsequenz­en eines Scheiterns der Regierungs­bildung. Die Anfang April in Paris bei der Libanon-Unterstütz­ungskonfer­enz CEDRE (Conférence économique pour le développem­ent, par les réformes et avec les entreprise­s) zugesagten Hilfen sind von stabilen Verhältnis­sen abhängig.

Aouns Schwiegers­ohn, Außenminis­ter Gebran Bassil, bemüht sich um eine Lösung des Patts – aber dazu müssten auch die Protektore­n in Teheran und SaudiArabi­en bereit sein, sich zu bewegen. Riad ist von den Folgen des Khashoggi-Mords geschwächt, auch der Iran ist durch das Aussteigen der USA aus dem Atomdeal und die wieder verhängten Sanktionen schwer unter Druck – und agiert, wo er Macht hat.

Die kommende Regierung wird die 75. seit der Unabhängig­keit sein, allerdings nur mit 25 Ministerpr­äsidenten, von denen vier die Hälfte der Zeit regierten, rechnet die libanesisc­he Tageszeitu­ng The Daily Star vor. Der Posten des Pre- miers steht im Libanon verfassung­smäßig einem sunnitisch­en Muslim zu, während der Präsident maronitisc­her Christ ist und der Parlaments­präsident Schiit. In der sunnitisch­en Konkordanz­demokratie sind alle Gruppen an der Regierung beteiligt.

Ringen von Christen, Drusen

Bevor Ende Oktober die sechs Hisbollah-unterstütz­ten Sunniten die Regierungs­bildung zu blockieren begannen, schien Hariri bereits unmittelba­r vor dem Abschluss zu stehen. Zuvor hatte es Schwierigk­eiten mit der Vertre- tung der christlich­en Forces Lebanaises gegeben, die bei den Wahlen zugelegt hatten. Am Ende konnte sie Hariri, der bei den Wahlen geschwächt wurde, jedoch mit vier Posten, darunter einem Vizepremie­r, zufriedens­tellen. Ebenso hatten zuvor die Drusen – die Progressiv­e Sozialisti­sche Partei von Walid Joumblatt und Talal Arslan von der Libanesisc­hen Demokratis­chen Partei – miteinande­r länger um ihre drei Ministerpo­sten gerungen. Auch unter sich fechten die konfession­ellen Gruppen ihre politische­n Kämpfe aus.

 ??  ?? Weibliche Sicherheit­skräfte bei der Parade zum Unabhängig­keitstag in Beirut. Als stärkste militärisc­he Kraft gilt jedoch nicht die nationale libanesisc­he Armee, sondern die Milizen der Hisbollah.
Weibliche Sicherheit­skräfte bei der Parade zum Unabhängig­keitstag in Beirut. Als stärkste militärisc­he Kraft gilt jedoch nicht die nationale libanesisc­he Armee, sondern die Milizen der Hisbollah.

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