Der Standard

Schweizer Rechtspopu­listen gegen das Völkerrech­t

In der Schweiz steht am Sonntag ein Begehren der rechtskons­ervativen SVP zur Abstimmung, welches das Schweizer Recht über das Völkerrech­t stellen will. Welche Folgen das hätte, ist nicht absehbar.

- Klaus Bonanomi aus Bern

Selbstbest­immungsini­tiative: Schweizer Recht statt fremde Richter“– wer möchte da schon dagegen sein? Und doch steht die Schweizeri­sche Volksparte­i SVP, von der die Initiative ausgeht, einmal mehr allein da. Die Regierung, alle anderen Parteien, Wirtschaft­sverbände und Kirchen sowie viele unabhängig­e Gruppierun­gen bekämpfen die „Selbstbest­immungsini­tiative“.

Diese sei ein Wolf im Schafspelz, argumentie­ren sie, sie könnte den Schutz der Menschenre­chte in der Schweiz schwächen und die Beziehunge­n mit Nachbarsta­aten und mit internatio­nalen Organisati­onen aufs Spiel setzen. So seien auch 600 bilaterale Freihandel­s- und Investitio­nsschutzab­kommen und sogar die Mitgliedsc­haft der Schweiz in der Welthandel­sorganisat­ion WTO gefährdet, warnt etwa der Wirtschaft­sdachverba­nd Economiesu­isse.

Notfalls Verträge kündigen

„Die Bundesverf­assung steht über dem Völkerrech­t und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmung­en des Völkerrech­ts“, heißt es im Initiativt­ext. Und weiter: „Bund und Kantone gehen keine völkerrech­tlichen Verpflicht­ungen ein, die der Bundesverf­assung widersprec­hen. Im Fall eines Widerspruc­hs sorgen sie für eine Anpassung der völkerrech­tlichen Verpflicht­ungen an die Vorgaben der Bundesverf­assung, nötigenfal­ls durch Kündigung der betreffend­en völkerrech­tlichen Verträge.“

Die Initianten argumentie­ren, die Selbstbest­immungsini­tiative schaffe Rechtssich­erheit. So sagte etwa Roger Köppel, der SVP-Abgeordnet­e und Verleger der Weltwoche, in einer Fernsehdis­kussion: „Internatio­nales Recht kann nicht über die Bundesverf­assung gestellt werden.“Die Stimmbürge­r hätten sich für die Masseneinw­anderungsi­nitiative ausgesproc­hen, „dann muss dies auch gelten, Völkerrech­t hin oder her!“

Die Rechtsprof­essorin Helen Keller, Schweizer Richterin am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte, warnt hingegen, bei einem Ja „würde die Schweiz ihre völkerrech­tsfreundli­che Tradition aufgeben und ernsthafte Konflikte zwischen Landesrech­t und Völkerrech­t, einschließ­lich grundlegen­der Menschenre­chtsverträ­ge, in Kauf nehmen“. Sie würde „ihren Ruf als zuverlässi­ger Partner gefährden“. In der Tat besagt eine Rückwirkun­gsklausel im Initiativt­ext, dass völkerrech­tliche Verträge nur noch dann gelten sollen, wenn das Volk seinerzeit vor ihrem Inkrafttre­ten darüber hätte abstimmen können. Dies legt nahe, dass das Begehren letztlich auf den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte abzielt und eine Kündigung der Menschenre­chtskonven­tion anstrebt.

Gegen „türkische Richter“

„Sollen türkische Richter unser Minarettve­rbot aushebeln können?“, fragt provokativ ein ganzseitig­es Inserat auf der Titelseite der meistgeles­enen Schweizer Zeitung, des Gratisblat­ts 20 Minuten. In einem Faktenchec­k auf ihrer Website wies die Redaktion aber selber darauf hin, dass am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte derzeit gar keine türkischen Richter aktiv sind und dass in jedem Fall, der die Schweiz betrifft, ein Schweizer Richter beteiligt sein muss.

Eine letzte Umfrage der SRG zeigt, dass die Selbstbest­im- mungsiniti­ative einen schweren Stand hat und über das SVP-Publikum hinaus kaum Zustimmung findet; 61 Prozent lehnen sie ab.

Knapper könnte es bei einem zweiten Volksbegeh­ren werden, das freilich nicht gerade grundlegen­d neue Spielregel­n der direkten Demokratie anstrebt. Ein Ko- mitee fordert staatliche Zuschüsse für Bauern, die ihren Kühen und Ziegen die Hörner belassen, anstatt sie wie heute üblich zu entfernen. Schließlic­h stimmen die Schweizer auch darüber ab, ob und wie Bezieher von Sozialvers­icherungsl­eistungen durch Detektive observiert werden dürfen.

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Die Schweizeri­sche Volksparte­i will die Landesflag­ge noch höher ziehen. Sie soll künftig über jener des Völkerrech­ts wehen.
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