Die österreichische Polizei nutzt Algorithmen, um Verbrechen vorherzusagen und Ressourcen zu verteilen. Aktuell greift man zu Daten, die die Kriminalpolizei selbst sammelt. Ab 2019 sollen auch öffentliche Quellen dazukommen.
Predictive Policing ist in Österreich längst Realität. Jacques Huberty sieht den Begriff jedoch problematisch. Zu Deutsch würde er „vorhersagende Polizeiarbeit“heißen, seine Arbeit sei aber eher „vorhersagebasiert“, sagt er zum Huberty leitet die räumliche Kriminalanalyse im Bundeskriminalamt (BK) in Wien. Das sechsköpfige Team des Psychologen und Soziologen besteht aus Mitarbeitern mit unterschiedlichsten Kompetenzen, darunter Kartografen und Kriminologen. Es versucht anhand von Algorithmen, die Österreichs Falldaten analysieren, Schlüsse über das zukünftige Verhalten von Kriminellen zu ziehen und Ermittlungen voranzutreiben. In den USA ist diese Methode sehr verbreitet, dort sind auch Überwachungstools wie Kameras mit Gesichtserkennungssoftware im Einsatz.
Aktuell nutzt die Polizei nur eigens aufgezeichnete Daten über Straftaten. Ab 2019 soll eine neue Predictive-Policing-Methode dazukommen, bei der auch Daten aus öffentlichen Quellen analysiert werden, etwa Informationen über das Einkommen nach Wohnort der Statistik Austria. Die Polizei bezeichnet sie als „Risk-Terrain-Analyse“.
Vorgehen
Im Wesentlichen werden zu jeglichen Straftaten Protokolle geführt, erklärt Huberty. Zeigt jemand etwas an, speisen Polizisten zugehörige Daten in das polizeiinterne System, genannt PAD (Protokollieren – Anzeigen – Daten). Aktuell würden lediglich Informationen genutzt werden, die auch in den Zuständigkeitsbereich der Kriminalpolizei fallen. „Wir behandeln keine Verwaltungsdaten, Verkehrsdaten oder Terrorismusinformationen“, erklärt Vincenz Kriegs-Au, Pressesprecher des BK. Nimmt ein Polizist eine Anzeige auf, trägt er die Adresse, die Tatzeit, das konkrete Geschehnis, den Parameter (beispielsweise Einbruch oder Diebstahl) und die Tatörtlichkeit ein – etwa ob die mutmaßliche Straftat in einem Supermarkt, einer Wohnung oder im Freien im öffentlichen Raum begangen worden ist. Personenbezogene Daten würden nicht erfasst werden, sagt Huberty. Die wichtigsten Daten zur Analyse seien Ort und Zeit. Das hätten US-Studien und eigene Erfahrungen gezeigt.
Im nächsten Schritt werden die gesammelten Daten mit unter- schiedlichen Methoden analysiert. Die dadurch beschaffenen Informationen werden mit den zuständigen Landeskriminalämtern und Polizeiinspektionen in ganz Österreich geteilt, um Ressourcen effektiv zu verteilen. „Wir sind im Bereich der Datenverarbeitung im Kontext von Predictive Policing das Vorbild für Deutschland“, sagt Kriegs-Au. Dadurch, dass jedes Bundesland eine eigene eigenständige Polizei hat, komme es bei den Daten oft zu Problemen mit den Schnittstellen. Zudem müssten sie theoretisch nicht miteinander kommunizieren. Auf diese Weise sei es daher schwierig, ein flächendeckendes Netz aufzubauen, wie es hierzulande der Fall ist.
Echtzeitwarnungen
Zusätzlich zu den Ermittlungsmethoden versendet die Polizei in Wien seit Anfang des Monats Echtzeitwarnungen auf Facebook: Besteht eine erhöhte Gefahr von Einbruch, werden Anzeigen auf der Plattform gebucht, um Personen zu erreichen, die betroffen sein könnten, sie zu warnen oder Hinweise einzuholen. Ob dann Täter woanders einbrechen, kann Kriegs-Au nicht bestätigen, da erst seit kurzem daran gearbeitet werde. „Ich denke, dass in dem Fall der Nutzen größer ist als der Nachteil, allein schon aufgrund des Abschreckungseffektes“, sagt KriegsAu. „Predictive Policing verfolgt zwei Ansätze hinsichtlich Interventionsstrategien: Prävention und Repression“, sagt Huberty. Durch die Informationen könnten die Ressourcen der Polizei effektiver eingesetzt werden.
Ganz ohne Kritik ist Predictive Policing in der Vergangenheit nicht ausgekommen. Zwar nutzt man in Österreich keine personenbezogenen Daten, was in anderen Ländern vor allem Datenschützer alarmiert, dennoch sieht etwa die Grundrechts-NGO Epicenter Works die Methoden problematisch. Beispielsweise sei die Wirkung nicht nachprüfbar. „Fährt die Polizei zu einem mutmaßlichen zukünftigen Tatort, wo dann nichts passiert, ist nicht feststellbar, ob die Vorhersage falsch war oder die Anwesenheit der Polizei die Tat verhindert hat“, sagte die Juristin Angelika Adensamer zuletzt zum „Da die die Wirkung nicht überprüfbar ist, kann auch nicht festgestellt werden, ob die finanziellen Mittel für Entwicklung und Betrieb solcher Systeme sinnvoll eingesetzt sind“, lautet die Kritik.
Huberty sagt dazu, dass es sich um Berechnungsmethoden handle, um Risikogebiete zu prognostizieren. „Es ist in einer Zeit von knappen Ressourcen und Möglichkeiten ein effizientes Mittel, um Ressourcen so zu steuern, dass es zielführend ist.“Zudem lege man einen hohen Wert auf Transparenz. „Wir wissen ganz genau, wie was berechnet wird“, sagt Huberty. Das sogenannte „Black Box“-Phänomen sei somit nicht vorhanden. Dabei handelt es sich um Systeme, bei denen zwar der Input und der Output bekannt sind, der genaue Aufbau und Ablauf aber nicht.
In Bezug auf die Wirksamkeit verweist Huberty auf eine Studie in Mailand, wo die reguläre Polizei Zugriff auf Predictive-Policing-Methoden hatte, die Carabinieri aber nicht – demnach sollen Erstere acht Prozentpunkte mehr Einbruchsfälle gelöst haben als die Carabinieri. Das seien allerdings nur einzelne Indizien, da es laut Huberty extrem aufwendig und teuer sei, empirische Studien durchzuführen. Zudem stelle sich die Frage: „Will man an einem Ort wohnen, der als Experimentalgebiet fungiert und wo wenig unternommen wird, nur, um zu beweisen, dass Predictive Policing tatsächlich wirkt“, fragt Huberty. Ob die positiven Fallzahlen tatsächlich auf eine Software zurückzuführen sind, sei dahingestellt. „Das kann ich nicht beantworten, das kann, denke ich, niemand beantworten. Aber es ist ein wichtiges Tool, Daten so aufzubereiten, dass sie klar, verständlich und transparent sind und deren Ergebnisse die alltägliche Polizeiarbeit erleichtern.“