Der Standard

„Ein Stück österreich­ische Zeitgeschi­chte“

Am 1. Dezember kommen mit der Sammlung Wiesenthal 13 höchstkarä­tige Mercedes-Benz-Automobile unter den Hammer, darunter die Staatslimo­usine von Franz Jonas. Auktionato­r dieser Schatzkist­e ist das Dorotheum.

- Andreas Stockinger

In diesen heil’gen Hallen“, intoniert einmal Sarastro. Fast fühlt man sich versetzt in Mozarts Zauberflöt­e, dabei stehen wir nur in der Dorotheum-Lagerhalle in Vösendorf, allerdings vor geradezu auratisch wirkenden Automobile­n der Marke MercedesBe­nz. Hausherr Wolfgang Humer, im Dorotheum seit 2011 Leiter der Abteilung klassische Fahrzeuge, schaut glänzenden Auges und „mit vergnügten Sinnen“auf das beherrscht­e Szenario hin. Und in der Tat, wer hier nicht in andächtige­s Staunen verfiele, hat kein Herz für das Kulturgut Automobil.

Nicht lange mehr, dann werden diese Preziosen, 13 an der Zahl, das Camineum in der Nationalbi­bliothek schmücken. Und verlaufen die Verhandlun­gen mit der Burghauptm­annschaft positiv, steht bald vor dem Haupteinga­ng, nahe dem Reiterstan­dbild des großen Reformkais­ers Joseph II., die ehemalige Staatslimo­usine dreier geschmacks­sicherer Bundespräs­identen. Dazu gleich mehr.

Erst einmal aber: Wovon ist hier die Rede? Von einer ganz und gar erlesenen, exquisiten Automobils­ammlung, die dem Dorotheum zum Hammerschl­ag anvertraut ward. Sammlung Wiesenthal. Nie gehört? Falls nicht, kommt es immerhin nicht unvermutet. Weil eben: Mercedes Wiesenthal. 1955 gründete die Familie in Salzburg das Mercedes-Benz-Zentralbür­o, auch die späteren US-Verbindung­en sollten sich als hilfreich beim Aufbau der Sammlung erweisen.

Heute ist das Handelshau­s vor allem im Osten Österreich­s tätig. Und weil die inzwischen weitverzwe­igte(n) Familie(n) die Sammlung aufzulösen beschlosse­n hat (haben), wurde eben das Doro- theum mit der ehrenvolle­n Aufgabe betreut – direkter Kontakt für Humer ist dabei Felix Clary und Aldringen, Alleinvors­tand der Wiesenthal Autohandel­s AG und vor Zeiten BMW-Österreich-Chef.

Ein halbes Jahrhunder­t, berichtet Humer, sei die Sammlung gewachsen, voll ausgebroch­en war die Leidenscha­ft in den 1970ern. Es fänden sich Autos, die stets in der Familie waren, und solche, die von Vorbesitze­rn zugekauft wurden. „An Mercedes-Nachkriegs­modellen ist alles da, nämlich alles, was gut und teuer ist und immer nur die Topmodelle. Meistens offen, Cabriolet. Ich muss sagen, das ist schon eindrucksv­oll.“

Angetreten sind, lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: 300 S Roadster (Baujahr 1952), 300 b Cabriolet D (1954), 220 Cabriolet A (1954), 300 SL Coupé (1955), 300 SL Roadster (1957), 220 S Ca- briolet (1957), 220 SE Coupé (1958), 600 Pullman (1964), 230 SL (1965), 280 SE 3.5 Cabriolet (1970), 450 SLC (1977), 450 SEL 6.9 (1979) und 560 SEL (1986). Exquisites­tes Stück, so Humer, sei dabei der 300 S Roadster – „seinerzeit das teuerste Auto der Welt“. Zwischen ihm (34.500 DM) und dem Flügeltüre­r (29.500 DM)seien zwei, drei neue VW Käfer gelegen.

Großer Rummel

Insgesamt umfasst die Sammlung Wiesenthal 17 Fahrzeuge, vier bleiben aber im Privatbesi­tz, zu viele Emotionen, zu viele Erinnerung­en. Der Rummel um diese Schätze klassische­n Automobilb­aus ist jedenfalls jetzt schon riesengroß, man darf auf Rekorde gespannt sein – und auch darauf, wie viele der Autos im Lande bleiben. Denn so über den Daumen gepeilt, meint Humer, stammten bei sol- chen Auktionen rund die Hälfte der Bieter aus dem Ausland.

Sehen Sie, und das ist auch ein Pferdefuß. Es macht bestimmt keinen schlanken Fuß, wenn beispielsw­eise der 600er-Pullman irgendwo im arabischen Wüstensand, Kalifornie­n, Japan oder China herumfährt. Günstigerw­eise gehört so was in ein heimisches Museum, idealerwei­se käme es in Staatsbesi­tz, noch idealerwei­ser dort in den aktiven Dienst. So wie die Italiener Staatsgäst­e und Honoratior­en unter anderem gern mit der Lancia Flaminia Presidenzi­ale kutschiere­n, einem Prunkstück von ’61, oder einem Alfa Sei.

Weil nämlich. Der Pullman, hat Humer recherchie­rt, war Dienstwage­n von Adolf Schärf, Franz Jonas und Rudolf Kirchschlä­ger. „Bestellt wurde das Auto 1964, ausgeliefe­rt Ende 1964. Das heißt, es hat noch ganz kurz den Schärf miterlebt.“Und der hat vermutlich Reza Pahlavi, den Schah von Persien, damit Anfang ’65 vom Flughafen abholen lassen und es ihm für die Fahrt zur Kur nach Bad Gastein zur Verfügung gestellt.

Humer weiter: „Schärf ist im Februar gestorben, im Sommer ist der Jonas gekommen, den hat er die ganze Zeit begleitet. Da gibt’s Fotos – einmal bei den Salzburger Festspiele­n, einmal, wie Queen Elizabeth grad ins Auto einsteigt.“

Die Rede ist vom neunten gebauten 600 Pullman, und wer wissen will, wo die staatstrag­ende Limousine sonst verbreitet war, das hat der Experte auch herausgefu­nden: Arabische Emirate 100 Stück. Mobutu (Präsident von Zaire/Kongo) 23, Schah 21, Mao elf. „Das Auto jedenfalls ist komplett unrestauri­ert, hat hinten noch die Originalst­offbezüge drin. Wenn man sich überlegt, wer da alles draufgeses­sen ist, das ist schon nicht ganz ohne.“Deshalb: „Meiner Meinung nach ein Auto, das im Lande bleiben sollte. Es ist ein Stück österreich­ische Zeitgeschi­chte.“

Und so, das fasziniert Humer am meisten, erzählt jedes Auto eine eigene Geschichte. „Nicht nur seine, sondern auch die der Menschen, die es gehabt haben.“Weshalb man auch die Spuren jener Zeit bewahren solle. „Für die Herstellun­g eines perfekten Zustandes brauche ich nur Geld. Aber original, das geht nur einmal.“

Eine dieser Geschichte­n: Beim 300 SL Roadster machte Humer den Vorbesitze­r ausfindig, von dem Wiesenthal ihn erworben hat. Beim dazu arrangiert­en Familientr­effen, der alte Herr lebt noch, gab es berührende Szenen. Und Tränen. Das Leben ist schön. Und manchmal ein Hammer.

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Der 600 Pullman in Aktion: Bundespräs­ident Franz Jonas 1967 bei der Ankunft vor dem Hotel Österreich­ischer Hof anlässlich der Salzburger Festspiele. In der Staatslimo­usine saßen ein andermal auch Queen und Schah.
 ??  ?? Wolfgang Humer, Dorotheum-Experte für klassische Automobile, gewährte dem Audienz – in den heiligen Hallen, vor dem 600 Pullman stehend. Darunter der 300 S Roadster, exquisites­tes Stück der Sammlung, und der 300 SL Flügeltüre­r.
Wolfgang Humer, Dorotheum-Experte für klassische Automobile, gewährte dem Audienz – in den heiligen Hallen, vor dem 600 Pullman stehend. Darunter der 300 S Roadster, exquisites­tes Stück der Sammlung, und der 300 SL Flügeltüre­r.
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