Der Standard

„Stromschne­lle“gewinnt eine ganz neue Bedeutung

Schnell ist der Jaguar I-Pace zweifellos, das gilt aber nicht für den Ladevorgan­g. Dafür braucht man neben der Infrastruk­tur auch Zeit. Wenn erst der Strom fließt, dann folgt ganz automatisc­h der Spaß.

- Michael Völker

Bevor man mit einem Elektroaut­o aufbricht, schaut man immer zuerst einmal auf den Ladestand und die Reichweite­nanzeige. Denn ganz so leicht wie bei einem Verbrennun­gsmotor ist die Versorgung unterwegs nicht. Herkömmlic­he Tankstelle­n gibt es zur Genüge, das Tanken an sich ist in ein paar Minuten erledigt. Stromtanks­tellen gibt es wesentlich weniger – und oft sind sie stundenlan­g besetzt. Oder auch die ganze Nacht, wenn die Besitzer von E-Autos diese Ladestatio­nen mit Parkplätze­n verwechsel­n, was im städtische­n Gebiet häufig vorkommt. Und dann ist es ja nicht so, dass der Wagen ruckzuck geladen ist. Das dauert. Das muss man einplanen. Am einfachste­n ist es, von Garage zu Garage zu fahren und den Wagen immer gut geladen zu halten. Da haben wir schon Routine.

Der I-Pace, Jaguars erstes Elektrofah­rzeug, ein sogenannte­r Performanc­e-SUV, überrascht­e uns in mehrerlei Hinsicht. Ich übernahm den Wagen in halb geladenem Zustand, hängte ihn also erst einmal in der Garage an die ganz normale Steckdose. Starkstrom gibt’s bei uns nicht. Nach ein paar Stunden holte ich den Wagen wieder ab. Noch immer halb voll. Oder halb leer. Verblieben­e Ladezeit: 21 Stunden. Meine erste Reaktion: Das Auto muss kaputt sein. Das kann nicht sein. Tatsächlic­h aber: Wenn die Batterie leer ist, kann es an einer normalen Steckdose mit dem üblichen Haushaltss­trom bis zu 30 Stunden dauern, diese wieder komplett aufzuladen. Ich sagte mir: „Na Oida!“

An einem Gleichstro­mschnellla­degerät, wie sie nun doch in größerer Zahl aufgestell­t werden, geht es schneller, aber auch nicht im Handumdreh­en.

Das liegt vor allem an der doch recht anspruchsv­ollen 90-kWhBatteri­e des I-Pace, die aus Lithium-Ionen-Pouch-Zellen mit hoher Energiedic­hte besteht. Hohe Lebensdaue­r und maximale Leistung über lange Zeiträume erfordern eben außerorden­tliche Energiezuf­uhr. Dafür gibt es tatsächlic­h Leistung: Der SUV hat die Daten eines Sportwagen­s. Die Beschleuni­gung von null auf 100 km/h erfolgt in gerade einmal 4,8 Sekunden. Das volle Drehmoment ist praktisch sofort nutzbar. Spitze: 200 km/h.

Der I-Pace wird von zwei Permanentm­agnet-Synchronmo­toren angetriebe­n, die jeweils 200 PS, gemeinsam also 400 PS leisten und ein Drehmoment von insgesamt 696 Newtonmete­r bereitstel­len. Das ist schon gewaltig.

Und ich muss aus meiner subjektive­n Erfahrung sagen: Noch kein Elektroaut­o zuvor hat so viel Spaß gemacht, war so sportlich angelegt, war so handlich und agil. Wenn man die Hemmschwel­le der Energiever­nichtung, die einem in einem Auto mit Elektroant­rieb noch deutlicher vor Augen geführt wird als in einem mit Verbrennun­gsmotor, erst einmal überwunden hat und beherzt den Motor lockt, lässt sich dieser Jaguar so flott und fröhlich bewegen, wie man es diesem nicht kleinen und nicht leichten Fahrzeug (mehr als zwei Tonnen Gewicht!) nicht zugetraut hätte. Das macht richtig Spaß.

Aber man kann natürlich auch auf die Reichweite achten und vorsichtig gleiten. Das wird die übliche Herangehen­sweise sein.

Eines muss nämlich auch dazu gesagt werden: Laut Papier hat der I Pace eine Reichweite von 480 Kilometern. Theoretisc­h. Unter idealen Laborbedin­gungen. In der Praxis stand bei voller Ladung 320 Kilometer Reichweite am Bordcomput­er, und die fiel in der Stadt schneller, als tatsächlic­h Kilometer gefahren wurden. Ehe man von Wien nach Salzburg aufbricht, überlegt und bangt man also dreimal, ob sich das ausgeht. Sind rund 300 Kilometer. Könnte sich ausgehen. Muss aber nicht.

Da dreht man dann schon die Klimaanlag­e ab und intuitiv das Radio leiser, damit nur ja kein zusätzlich­er Strom verbraucht wird. Denn irgendwo in der Einöde am Ladekabel hängen, wenn man denn eine Station findet, und wenigstens 30 Minuten auf die Dröhnung warten (bei einem normalen 50-kW-Ladegerät etwa 100 Kilometer Reichweite pro 15 Minuten), nein, das kann nicht die Zukunft des Autofahren­s sein.

 ??  ?? Das ist ein waschechte­r „Performanc­eSUV“. Also ein Fast-Geländewag­en mit ordentlich Leistung. Die kommt beim Jaguar I-Pace aus der Steckdose. Was lange lädt, wird endlich gut. Bis die volle Reichweite verfügbar ist, kann es eine Weile dauern.
Das ist ein waschechte­r „Performanc­eSUV“. Also ein Fast-Geländewag­en mit ordentlich Leistung. Die kommt beim Jaguar I-Pace aus der Steckdose. Was lange lädt, wird endlich gut. Bis die volle Reichweite verfügbar ist, kann es eine Weile dauern.
 ??  ?? Das Cockpit des Jaguars ist ordentlich aufgeräumt, nichts soll vom Fahrspaß ablenken.
Das Cockpit des Jaguars ist ordentlich aufgeräumt, nichts soll vom Fahrspaß ablenken.

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