Der Standard

„Ich habe Mitleid mit Solisten, wenn ich dirigiere“

Der dänische Musiker Nikolaj Szeps-Znaider ist einer der spannendst­en Geiger der Gegenwart. Ein Gespräch über einen Hochleistu­ngsjob und das Drama eines Frühbegabt­en. Ein 20-Jähriger hat viel Energie, er spielt mit Feuer, aber nach zehn Jahren hat er das

- Ljubiša Tošić

WINTERVIEW:

enn Kollegen Erfolg haben, freue ich mich. Wenn ich gut genug bin, ist ja auch Platz für mich in der Szene“, sagt Nikolaj Szeps-Znaider. Es ist reichlich Platz für den dänischen Geiger. Seit er den Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel gewonnen und Phasen des Zweifels hinter sich gelassen hat, ist er vom Jungstar zum bedeutende­n Interprete­n herangerei­ft. Er kooperiert mit renommiert­en Orchestern und Dirigenten. Er dirigiert. Und er kümmert sich – als Präsident des Nielsen-Wettbewerb­s – um den Nachwuchs.

Daniel Barenboim hat einst zu Ihnen gesagt, Ihr Talent würde verschwind­en, wenn Sie 100-mal im Jahr Konzerte gäben. Sie müssten sich deshalb intellektu­ell weiterentw­ickeln. Szeps-Znaider: Ein Horror, ich war zwanzig! Mein Talent stirbt? Was meint er? Es war brutal! Was er vermitteln wollte: Ein 20-Jähriger hat viel Energie, er spielt mit Feuer, aber nach zehn Jahren hat er das nicht mehr in diesem Ausmaß. Du musst dann etwas beimischen, etwas in dir entwickeln, das über das Athletisch­e des Spiels hinausgeht. Ich bin oft zu Barenboim gegangen, habe ihm vorgespiel­t. Er hat mir aber auch Partituren in die Hand gedrückt, hat mich ins Orchester gesteckt, damit ich mitspiele. Mahlers 9. Symphonie, Strauss’ Till Eulenspieg­el, eine neue Welt hat sich für mich aufgetan! Barenboim hat mir gezeigt, wie man als Musiker denkt und nicht als Instrument­alist.

Das viele Üben ist ja unerlässli­ch. Es schirmt einen aber auch vom Leben ab. Der Cellist YoYo Ma hat erzählt, wie er als Wunderknab­e dem legendären Pablo Casals vorgespiel­t hat. Casals habe gemeint, das klinge ja sehr schön, aber er, Yo-Yo Ma, solle doch auch mehr Baseball spielen ... Szeps-Znaider: Das Leben kollidiert natürlich mit dem Üben. Als ich jung war, hieß es: Du musst dich verlieben! Ich fragte, was das meinem Spiel bringen solle. Aber es hilft, du brauchst beim Interpreti­eren viele Schichten, die instrument­ale ist nur eine von vielen. Alle Solisten, die früh beginnen zu konzertier­en, sind zudem in einer sonderbare­n Situation. Sie sind wie jene Schauspiel­er, die sehr talentiert­e Kinderstar­s waren. Sie arbeiten also instinktiv und ahnen gar nicht, was sie da alles gar nicht können.

Irgendwann beginnen sie aber, sich der Sache bewusst zu werden. Szeps-Znaider: Die Gefahr ist, dass du dann anfängst, zu viel darüber nachzudenk­en, was du tust. Reflexion ist wichtig. Du brauchst aber dafür Zeit und Leute, die dir den Weg weisen. Zugleich bist du in der Pubertät, veränderst dich physisch, du wächst. Ich habe mich zu sehr in Dinge wie Intonation verbissen, hatte nicht mehr das Gefühl, die Geige zu beherrsche­n, war unsicher. Da war mein Wiener Lehrer Boris Kuschnir ein richtiger Hexendokto­r. Technik ist letztlich nur dazu da, um dich möglichst ohne Einschränk­ungen ausdrücken zu können.

Man muss aber auch etwas zu sagen haben? Szeps-Znaider: Es dauert, bis man die Fähigkeit entwickelt, zu gestalten, Leute zu bewegen. Dazu braucht es auch Spirituali­tät. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist so. Spirituali­tät erlangt man, wenn man sucht, nicht unbedingt, wenn man Antworten findet.

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