Der Standard

Eine Liebe im Irrsinn der Diktatur

Das großformat­ige Ballett „Roméo et Juliette“des Starchoreo­grafen Angelin Preljocaj in St. Pölten

- Helmut Ploebst

Wien – Erst kam Judo, dann der Tanz. Als der französisc­he Choreograf Angelin Preljocaj (61) elf Jahre jung war, übte er die japanische Kampfkunst. „Da traf ich ein Mädchen, das mir ein Tanzbuch zeigte. Darin gab es ein Bild von Rudolf Nurejew in einem fantastisc­hen Sprung.“Ein positiver Schock. Die Tanzschüle­rin habe ihn in ihre Schule eingeladen, und noch im Judogewand nahm er dort seine erste Stunde. So romantisch erzählt der Künstler vom Beginn seiner großen Liebe – zum Tanz.

Jetzt, genau fünfzig Jahre später, kommt Preljocaj mit seiner Version einer weniger glückliche­n Liebes- geschichte ins Festspielh­aus St. Pölten: Roméo et Juliette. Seine erste Fassung hatte er 1990 gezeigt, die endgültige Choreograf­ie wurde sechs Jahre später uraufgefüh­rt. In diesem großformat­igen Ballett interpreti­eren bis heute zwei Dutzend Tänzerinne­n und Tänzer aus Preljocajs eigener Compagnie, die in Aix-en-Provence residiert, den Shakespear­e-Klassiker auf etwas modifizier­te Art.

Der Franzose bewegt sich entlang Sergej Prokofjews Romeo und Julia (Premiere 1938 in Brno) – in St. Pölten gespielt vom Tonkünstle­rorchester unter der Leitung von Garrett Keast. Auch das berühmte Thema vom „Tanz der Ritter“aus dem Original taucht in Goran Vej- vodas Sounddesig­n auf. Doch hier wird Prokofjews Musik mit zusätzlich­en düsteren Soundinfus­ionen durchsetzt. Und der Choreograf richtet den Inhalt seiner Geschichte nicht wie Shakespear­e auf aristokrat­ische Clan-Konkurrenz, sondern auf modernen Klassenkam­pf.

Dabei werden Fragen nach Verboten und Freiheiten virulent, darunter diese: Darf ein armer Bursch ein Mädchen aus besseren Kreisen lieben? Bei Angelin Preljocaj tanzen Romeo und Julia durch den Irrsinn einer Diktatur. Diese scheint zwar fiktiv zu sein, doch tatsächlic­h spielt der Künstler auf die kommunisti­schen Regimes des ehemaligen Ostblocks an. Denn vor einem solchen ist die Familie des Choreograf­en vor Angelins Geburt nahe Paris aus dem montenegri­nischen Berane nach Frankreich geflüchtet.

Was die Liebe betrifft: Preljocajs Eltern stemmten sich gegen des Sohnes Plan, Tänzer zu werden. Also gab er vor, Judokurse zu besuchen, nahm aber heimlich Tanzunterr­icht. Er studierte dann bei einer Schülerin von Mary Wigman in Paris und bei Merce Cunningham in New York. Seine eigene Compagnie gründete er 1985. Von da an entwickelt­e sich Preljocaj zu einem der wichtigste­n Choreograf­en Frankreich­s. „Roméo et Juliette“, Festspielh­aus St. Pölten, 24. 11., 19.30 + 25. 11., 16.00

Newspapers in German

Newspapers from Austria