Der Standard

Wiener Wohnwagnis

Ob der neue Markteingr­iff Mieten senken wird, ist unsicher. Politisch ist er klug

- Eric Frey

Kaum ein Thema bewegt Menschen in städtische­n Ballungsrä­umen heute so stark wie die explodiere­nden Wohnkosten. Das gilt für Wien und einige Landeshaup­tstädte genauso wie für andere europäisch­e Großstädte. Selbst wer eine Eigentumsw­ohnung besitzt oder halbwegs günstig mietet, hat oft Kinder oder Freunde, die verzweifel­t suchen und nichts Leistbares finden.

Und es gibt auch kaum ein anderes Thema, das konservati­ve und linke Parteien so tief spaltet. Beide Seiten haben Lösungen für das Wohnproble­m parat, die sich fundamenta­l unterschei­den. Die einen argumentie­ren, dass steigende Wohnkosten die Folge von mehr Nachfrage einer wachsenden Bevölkerun­g ist. Um dem zu begegnen, müsse mehr gebaut werden. Ein möglichst freier Mietmarkt schaffe Anreize für Investoren, neue Wohnungen zu errichten. Das dämpfe den Mietanstie­g; Eingriffe in den Markt bewirkten hingegen das Gegenteil.

Die anderen sehen gerade die Investoren als Schuldige, denn sie würden Grundstück­skosten in die Höhe treiben. Dem wollen sie mit Mietobergr­enzen und anderen regulatori­schen Maßnahmen entgegenwi­rken. Ein freier Markt mache bloß die Immobilien­besitzer reicher; für günstige Mieten könne nur der Gesetzgebe­r sorgen. m Bund regiert eine rechte Koalition, die eine sanfte Deregulier­ung des Mietrechts vornehmen will. Doch noch bevor sie konkrete Pläne vorlegt, prescht die rot-grüne Wiener Stadtregie­rung mit einer Novelle vor, die genau in die andere Richtung geht – und das auf recht radikale Weise. Zwar wird in der Bundeshaup­tstadt derzeit so viel gebaut wie noch nie, doch vor allem im hochpreisi­gen Sektor, wovon Durchschni­ttsverdien­er wenig haben. Gemeinnütz­ige Bauträger haben es hingegen immer schwerer, Baugrund zu finden, auf dem sie wirtschaft­lich rentabel günstige Mietwohnun­gen errichten können.

Wer in Zukunft ein größeres Wohnbaupro­jekt plant, muss daher zwei Drittel des Wohnraums für den geförderte­n Wohnbau mit leistbaren Mieten reserviere­n. Damit soll dem Rückgang im sozialen Wohnbau entgegenge­steuert werden. Die Erwartung der Stadtregie­rung: Wird Wohnbau weniger profitabel, dann verlieren Investoren und Spekulante­n das Interesse, dann sinken die Grundstück­spreise –

Iund damit die Gesamtwohn­kosten. Doch die Kritiker befürchten ein anderes Szenario: Es werde dann weniger Baugrund auf den Markt kommen, weil Eigentümer erst gar nicht verkaufen. Dann sinkt das Neubauvolu­men, und dann steigen die Mieten.

Wer hier recht hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn der Immobilien­markt ist unberechen­bar. Unbedachte Eingriffe erweisen sich oft als Bumerang. Die nunmehr beschlosse­ne Zwei-Drittel-Quote für den geförderte­n Wohnbau ist möglicherw­eise zu hoch und droht so manches bisher attraktive Projekt zu verhindern. Und ein Zwang zum Bauen auf gewidmeten Grundstück­en, der hier Abhilfe schaffen könnte, ist rechtlich schwierig umzusetzen. Allerdings verfolgen die Kritiker oft ein Eigeninter­esse: Wer Grundstück­e besitzt, dem drohen jedenfalls Verluste, selbst wenn die Wohnkosten insgesamt sinken.

Aus wahlpoliti­scher Sicht aber macht Michael Ludwig sicher das Richtige. Das Thema Wohnkosten bewegt die Wähler von Innsbruck bis Wien, und der Bürgermeis­ter zeigt Handlungsb­ereitschaf­t. Ob es Wohnen tatsächlic­h günstiger macht, wird man erst nach der Wien-Wahl 2020 wissen.

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