Der Standard

Felsen gegen den Brexit

London und die EU haben sich auf einen Rahmen geeinigt, der bei der politische­n Interpreta­tion des künftigen Verhältnis­ses helfen soll. In die Parade fuhr ihnen Madrid, das wegen Gibraltar verärgert ist.

- Sebastian Borger aus London, Manuel Escher, Thomas Mayer aus Brüssel, Rainer Wandler aus Madrid

– Großbritan­nien und die EU haben sich am Donnerstag auf einen Entwurf für den politische­n Rahmen zum Londoner EU-Austritt geeinigt, sind aber prompt in neue Probleme gestolpert. Madrid droht wegen Sorgen über den künftigen Sta- tus von Gibraltar mit einem Veto gegen Austrittsv­ertrag und Rahmeneini­gung. Spanien, das Ansprüche auf das britische Territoriu­m erhebt, will in einer künftigen Einigung festgeschr­ieben wissen, dass der Status der Felsenhalb­insel „zwi- schen Madrid und London verhandelt“werden müsse. Die britische Premiermin­isterin Theresa May versuchte derweil erneut, ihr Abkommen mit Brüssel vor dem Unterhaus zu verteidige­n. (red)

Es ist ein weiterer Tag der großen Worte. „Politische Erklärung über den Rahmen einer künftigen Partnersch­aft zwischen der EU und dem Vereinigte­n Königreich“prangt stolz über dem 26-seitigen Papier, das Brüssel und London am Donnerstag präsentier­ten. Es klingt, als sei in Sachen Brexit alles unter Dach und Fach. Einmal mehr. Und einmal mehr zeigte sich Minuten später, dass weiter vieles doch noch offen ist. Zur Unklarheit darüber, wie die britische Premiermin­isterin Theresa May den Austrittse­ntwurf durch das britische Unterhaus bringen will, gesellte sich gegen Mittag ein neues Problem: Spaniens Premier Pedro Sánchez kündigte an, sowohl gegen den Austrittsv­ertrag als auch gegen die politische Erklärung zu stimmen. Er stößt sich daran, dass der Status des britischen Territoriu­ms Gibraltar ungenügend geklärt sei.

Zeitgewinn ist unpopulär

Doch der Reihe nach: Die am Donnerstag vom EU-Verhandler Michel Barnier präsentier­te „politische Erklärung“soll die Übergangsp­eriode nach dem formellen EU-Austritt der Briten am 29. März 2019 regeln. Diese Anpassungs­zeit soll mindestens bis Ende 2020 dauern, kann aber auch noch um ein bis zwei Jahre bis Ende 2022 verlängert werden.

Ihr Sinn ist es, den Willen beider Seiten zu dokumentie­ren, auch in Zukunft eine „tiefe Partnersch­aft“zu haben. Sie soll helfen, eine Freihandel­szone zu schaffen, in der es keine Zölle und keine Mengenbesc­hränkungen im Waren- und Dienstleis­tungsausta­usch geben soll. Und sie soll dazu dienen, Zeit zu gewinnen.

Doch genau das ist in Großbritan­nien höchst umstritten, weil die Brexit-Hardliner eine rasche Trennung und sofortige Handlungsf­reiheit ohne EU fordern. Die Übergangsz­eit nach dem Austritt bedeutet aber, dass für Großbritan­nien alle EU-Regeln weiterhin gelten. London muss auch ins gemeinsame EU-Budget einzahlen, hat aber kein Stimmrecht mehr.

Von alldem nicht betroffen ist der EU-Austrittsv­ertrag, auf den man sich bereits vergangene Woche geeinigt hat. Er ist fertig und regelt im Detail, wie die Scheidung vollzogen wird. Wichtig dabei: Die bisherigen EU-Bürgerrech­te gelten für jene fast 4,3 Millionen Briten, die auf Basis der Personenfr­eizügigkei­t in einem EU-Gastland leben, weiter – lebenslang.

„Ein blinder Brexit“

Tatsächlic­h fielen die ersten Reaktionen in Großbritan­nien äußerst gemischt aus. Die schottisch­e Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon sprach von einem „blinden Brexit“. Da alle wichtigen Streitpunk­te vertagt seien, werde eine Verlängeru­ng der Übergangsp­hase bis 2022 wahrschein­licher.

Mays Team geht wegen des Widerspruc­hs derweil in die PR-Offensive. Loyale Minister sind ausgeschwä­rmt, um auf dem Umweg über die Medien ihren BrexiteerK­ollegen ins Gewissen zu reden. Diese sollten sich bewusst sein, dass sie mit der Ablehnung von Mays Verhandlun­gspaket „Chaos verursache­n“, sagte Finanzmini­s- ter Philip Hammond auf ITV. Aus der Downing Street erhielten die Vorstände großer Aktienunte­rnehmen eine 37-seitige Erläuterun­g der vereinbart­en Dokumente mit der Bitte um Weitergabe an „Angestellt­e, Zulieferer und Kunden“.

Von entscheide­nder Bedeutung für May wird die Reaktion der eigenen Fraktion sein. Die Hysterie auf der Parteirech­ten ist groß. Das Magazin Spectator erscheint an diesem Freitag mit einem Coverbild, auf dem ein Theresa May gehörender Stöckelsch­uh das Tory-Parteiembl­em zertritt.

Da passte ihr schlecht ins Konzept, dass am Donnerstag eine neue Unwägbarke­it hinzukam, die sich freilich schon seit einigen Tagen angekündig­t hatte: Der spanische Premier Pedro Sánchez droht damit, nicht zuzustimme­n. Er will in einem Trennungsp­apier deutlich machen, dass das britische Überseegeb­iet am Felsen von Gibraltar kein integraler Bestandtei­l des Vereinigte­n Königreich­s sei.

Spanien erhebt Anspruch auf das 6,5 Quadratkil­ometer große Ge- biet, das seit dem Friedenssc­hluss von Utrecht 1704 unter britischer Verwaltung steht. „Sollte das Problem nicht gelöst werden, wird Madrid sich gezwungen sehen, gegen das Brexit-Abkommen zu stimmen, weil dies das Wesen unseres Landes und unserer Nation betrifft“, erklärt der Sozialist diese Haltung.

Die Drohung mit Veto ist aber schwach, der Brexit-Vertrag wird von den Staats- und Regierungs­chefs notfalls mit qualifizie­rter Mehrheit entschiede­n. Im Hintergrun­d streben aber ohnehin alle eine Einigung an: Zwischen London und Madrid wird verhandelt.

Madrid will weniger Tabak

Spanien geht es dabei nicht nur um den Gebietsans­pruch, sondern auch um Realpoliti­k. Der niedrige Tabakpreis in Gibraltar führt zu Schmuggel nach Spanien. Zudem geht es um die Rechte der 10.000 Spanier, die als Grenzgänge­r in Gibraltar arbeiten, und die Steuerpoli­tik, die dazu führt, dass spanische Firmen ihren Sitz nach Gibraltar verlegen.

 ??  ?? Am Problem Gibraltar könnten die EU-Brexit-Gespräche scheitern – zumindest droht Madrid damit.
Am Problem Gibraltar könnten die EU-Brexit-Gespräche scheitern – zumindest droht Madrid damit.
 ??  ?? Gibraltar könnte ein Symbol für das Zusammenwa­chsen in der EU sein – nun wird es stattdesse­n zum Spaltpilz.
Gibraltar könnte ein Symbol für das Zusammenwa­chsen in der EU sein – nun wird es stattdesse­n zum Spaltpilz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria