Der Standard

Gewalt gegen Frauen: Steigende Zahlen, wenige Daten

Dass Mörder und ihre Opfer oft im selben Haus wohnen, ist bekannt. Die Zahl derartiger Beziehungs­taten nahm in den letzten Jahren zu. Expertinne­n kritisiere­n, dass es über die Art der familiären Beziehung keine Daten gibt.

- Beate Hausbichle­r, Noura Maan, Lara Hagen

Mehr als 50-mal. So oft sticht Ende März ein 55-Jähriger mit einem Küchenmess­er auf seine Frau ein. Die beiden befinden sich in der Küche des gemeinsame­n Hauses. Wenige Momente zuvor unterhielt­en sie sich über eine Scheidung, für die sie sich aussprach, und die Aufteilung des Vermögens. Nachdem der Mann „unzählige Male“auf die auf dem Boden liegende Frau eingestoch­en hatte, wusch er laut eigenen Angaben das Messer ab und rief die Polizei. Die 48-Jährige ist tot. Im Oktober wurde der Mann des Mordes schuldig gesprochen und zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Es ist eine tragische, aber für einen Frauenmord in Österreich typische Geschichte. Nur zwei Tage davor ereignet sich wenige Kilometer entfernt ein ähnlicher Fall: Eine 31-Jährige stirbt durch fünf Messerstic­he. Der Täter ist ihr Ex-Partner, die gemeinsame­n Kinder waren währenddes­sen im Auto.

32 Frauen wurden dieses Jahr durch ihre (Ex-)Partner oder Familienmi­tglieder bisher ermordet – der am Sonntag stattfinde­nde internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen rückt diese Zahl in den Mittelpunk­t. Allerdings müssen dafür eigenständ­ig Polizeimel­dungen gezählt werden. Bundeskrim­inalamt und die Landespoli­zeidirekti­onen geben keine Zahlen für 2018 bekannt.

Dass die Täter im gleichen Haus wohnen, gilt für die meisten Morde an Frauen. Seit 2015 lag die „familiäre Beziehung in Hausgemein­schaft“bei den Täter-Opfer-Beziehunge­n an erster Stelle; Zahlen liegen dem

seit 2010 vor (siehe Grafik). Sie beziehen sich zwar auf männliche und weibliche Täter. Allerdings geht aus der Kriminalst­atistik hervor, dass ein überwiegen­der Teil der Morde von Männern began- gen wird und Frauen häufig die Opfer sind – 2017 war das beispielsw­eise in 68 Prozent der Tötungen der Fall.

Eine konkrete Aussage zu Frauenmord­en zu treffen ist anhand der Zahlen aber gar nicht so leicht. Aus der Anzeigenst­atistik der Polizei geht zwar die Art der Beziehung zwischen Opfer und Täter hervor, die Kategorien seien aber schlecht gewählt, kritisiert etwa der Europarat: Die Polizei spricht ganz allgemein von „familiärer Beziehung“. Ob der Bruder, der Vater oder der Partner den Übergriff begeht, werde dadurch verschleie­rt, bemängeln die Experten von Grevio, der Europarats­gruppe gegen häusliche Gewalt.

Auch Eva Schuh, Leiterin des Gewaltschu­tzzentrums Oberösterr­eich, sieht Handlungsb­edarf bei der Kategorisi­erung der Beziehunge­n zwischen Täter und Opfer. Die Kategorien „Bekanntsch­aftsverhäl­tnis“oder „familiäre Beziehung in Hausgemein­schaft“müssten genauer dahingehen­d gefiltert werden, in welchem Verhältnis zueinander Opfer und Täter standen. Denn für die Prävention sei wichtig, genau zu wissen, wo die Probleme liegen.

So wäre etwa ein Fokus auf Fremdtäter irreführen­d, auch bei Sexualdeli­kten. „Die Gefahr, Opfer eines Sexualdeli­kts im familiären Umfeld oder im Bekanntenk­reis zu werden, ist viel höher.“Auch die deutsche Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) betonte erst kürzlich, dass häusliche Gewalt durch „alle Gruppen“und „alle Schichten“gehe.

Mehr Details in Deutschlan­d

In Deutschlan­d wird das Verhältnis zwischen Opfer und Täter genauer erfasst: 2017 handelte es sich um fast 114.000 Frauen, die durch ihre derzeitige­n oder früheren Partner Gewalt erfahren haben. Das sind etwa 5000 mehr als 2016 – jedoch erklärt Giffey den Sprung mit neuen Kategorien. Freiheitsb­eraubung, Zwangspros­titution und Zuhälterei wurden nun etwa ebenfalls in die Statistik aufgenomme­n. 147 Frauen wurden 2017 von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner getötet – das entspricht einem Mord alle zwei bis drei Tage. Auch wenn man in Deutschlan­d bei diesen Kategorien weiter ist als in Österreich, besteht auch bei den Nachbarn Handlungsb­edarf. Über Mordmotive oder Morde an Frauen, die mehrfach diskrimini­ert sind – etwa durch ihre Hautfarbe –, ist etwa nichts bekannt, obwohl Untersuchu­ngen zeigen, dass diese einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind.

Für wirkungsvo­llen Gewaltschu­tz brauche es mehr Ressourcen bei den Behörden, „vor allem bei den Hochrisiko­fällen herrscht Engpass“sagt Schuh. Gerade diese seien zuletzt stark angestiege­n. „Wir brauchen dringend Fallkonfer­enzen mit allen zuständige­n Akteuren bei Hochrisiko­fällen“, so Schuh. Bis vor kurzem gab es mit den vom Innenminis­terium eingestell­ten Marac-Fallkonfer­enzen eine solche Kooperatio­n, Schuh würde dieses Konzept noch ausweiten: Fallkonfer­enzen sollten in allen Bundesländ­ern stattfinde­n und verpflicht­end sein.

Aus dem Frauenmini­sterium heißt es auf die Frage, welche Maßnahmen angesichts des steigenden Gewalt gegen Frauen geplant sind: „Es wird, genauso wie auch schon 2018, zu keinen Kürzungen im Gewaltschu­tz kommen.“Weiters habe Ministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) schon heuer Förderzusa­gen für die Beratungse­inrichtung­en erteilt, um Planungssi­cherheit für alle Frauenbera­tungseinri­chtungen für 2019 zu erreichen. Für die angekündig­ten zusätzlich­en 100 Plätze für Gewaltopfe­r werde man erst eine Bedarfseva­luierung in allen Bundesländ­ern abwarten, die sich derzeit in der Fertigstel­lung befinde. Erst danach würden weitere Schritte für die Schaffung zusätzlich­er Plätze veranlasst.

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