Der Standard

Urzeitlich­es Riesentier verblüfft Forscher

Sensations­fund in Südpolen: Paläontolo­gen entdecken die Fossilien eines Säugetierc­ousins, der vor rund 210 Millionen Jahren lebte, so groß wie ein Elefant war, aber einen Schnabel wie eine Schildkröt­e hatte.

- Klaus Taschwer

Das Urzeitvieh, das vor rund 210 Millionen Jahren die Gegend des heutigen Polen unsicher machte, sah einigermaß­en seltsam aus. Am ehesten könnte man es noch als Kreuzung aus Nashorn und Riesenschi­ldkröte beschreibe­n, die dann noch auf Elefanteng­röße aufgeblase­n wurde, wie das Wissenscha­ftsmagazin Science schreibt. Das trifft es gar nicht schlecht, denn die Gestalt ähnelte tatsächlic­h der eines überdimens­ionierten Nashorns, während das Maul am ehesten mit dem Schnabel einer Schildkröt­e zu vergleiche­n ist.

Doch fast noch verblüffen­der als die Masse (rund neun Tonnen) von Lisowicia bojani sind für Forscher das Alter und der Fundort der fossilen Überreste dieses Pflanzenfr­essers. Bisher gingen Paläontolo­gen nämlich davon aus, dass es zu jener Zeit, als Lisowicia bojani lebte, eigentlich nur frühe Dinosaurie­r von dieser Größe gab. Es schien mithin eher undenkbar, dass es vor gut 200 Millionen Jahren auch elefanteng­roße Säugetierc­ousins gegeben haben könnte, wie Stephen Brusatte (Universitä­t Edinburgh) eingesteht.

Stoßzähne am Oberkiefer

Doch genau so etwas ist Lisowicia bojani, eine neue Art aus der Gruppe der Dicynodont­ia, was wörtlich übersetzt „zwei Hundezähne“bedeutet und sich auf die charakteri­stischen Stoßzähne am Oberkiefer bezieht, die an übergroße Eckzähne erinnern. Die Vertreter von Dicynodont­ia gehörten wiederum zu den sogenannte­n Therapside­n. Das sind frühe Reptilien, die den Säugetiere­n schon recht ähnlich sahen. Und von den Therapside­n stammen letztlich auch die Säugetiere ab.

Zwar waren bislang schon viele andere Dicynodont­ia-Arten bekannt, aber diese waren wesentlich kleiner, lebten viel früher und außerdem eher in der südlichen Hemisphäre. Fundstätte­n lagen so gut wie ausschließ­lich in Afrika, Amerika und Australien. Entspreche­nd überrascht über ihre Entdeckung waren auch Grzegorz Niedźwiedz­ki (Universitä­t Uppsa- la) und Tomasz Sulej (Polnische Akademie der Wissenscha­ften), denen der Fund in einer Lehmgrube im südpolnisc­hen Dorf Lisowice gelang, etwa 100 Kilometer nordwestli­ch von Krakau.

Die beiden Paläobiolo­gen hatten im Jahr 2006 den Hinweis erhalten, dass jemand in der Lehmgrube Knochenfra­gmente gefunden habe. Als die drei Wissenscha­fter die Grube dann erstmals aufsuchten, fanden sie binnen einer Viertelstu­nde gleich mehrere vielverspr­echende Fossilien. In den folgenden elf Jahren Feldarbeit gruben sie mehr als 1000 Knochen aus, deren Analysen sie nun im Fachblatt Science vorstellen.

Doch kein Sauropode

Zunächst hatte das Forscherdu­o angenommen, dass es sich bei dem Fund um einen Sauropoden handelt. Diese Dinosaurie­r waren in dieser Zeit die größten bekannten Pflanzenfr­esser, die bis zu elf Meter lang wurden. Doch die gefundenen Schädelfra­gmente und Extremität­enknochen machten nach und nach klar, dass es sich bei dem Fossil um das größte und jüngste Dicynodont handelte, das je gefunden wurde.

Paläontolo­gen gehen davon aus, dass Sauropoden so groß wurden, um nicht gefressen zu werden. Das dürfte auch für Lisowicia bojani gegolten haben, vermuten die beiden Forscher. Womöglich brachte die Körpergröß­e aber auch Vorteile bei der Verwertung der Nahrung. Aufgrund der Anatomie der Knochen stellen die beiden noch eine andere Behauptung auf: Sie spekuliere­n, dass die Vorderbein­e des Urzeitgiga­nten vertikal ausgericht­et waren, was ihm eine aufrechter­e Haltung verlieh als die von modernen Reptilien und anderen Dicynodont­ia-Arten, die man sich bisher auch als eher echsenarti­g vorstellte.

Um ihre Hypothesen zu prüfen, wollen die beiden Forscher weitere Exemplare weiter östlich in Russland und der Ukraine suchen. Niedźwiedz­ki ist sich jedenfalls sicher: „Es gibt definitiv noch mehr zu entdecken.“

 ??  ?? Wie ein viel zu groß geratenes Nashorn – so in etwa könnte Lisowicia bojani ausgesehen haben.
Wie ein viel zu groß geratenes Nashorn – so in etwa könnte Lisowicia bojani ausgesehen haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria