Der Standard

Wenn die Kanarienvö­gel verstummen

Just die früheren Börsenlieb­linge, die Technologi­etitel, rissen die Wall Street diese Woche in die Tiefe. Und das könnte erst der Anfang sein: Manch Investment­experte malt bereits Rezessions­gespenster an die Wand.

- Ines Zöttl aus Washington

Auf der Internetse­ite Stocktwits können sich Aktienanle­ger mit den jüngsten Börseninfo­s und Charts versorgen, aber auch einkaufen. Bestseller ist das T-Shirt mit dem Aufdruck „BTFD“: „Buy the fucking dip“– steig ein, wenn die Kurse zwischenze­itlich absacken. Diese Börsenrege­l schien in den vergangene­n Jahren ein todsichere­r Tipp. Denn jedes Mal, wenn die Kurse nach schlechten Nachrichte­n fielen, ging es anschließe­nd wieder umso flotter aufwärts.

Doch seit Anfang dieser Woche dürfte den Börsianern klar sein, dass die BTFD-Strategie Risiken birgt. Zwei Tage lang probten die US-Börsen den Ausverkauf. Am Dienstag war nichts mehr von den Kursanstie­gen übrig, die der DowJones-Index im Jahresverl­auf angesammel­t hatte. Besonders hart traf es die Technologi­ewerte. Die großen fünf, auch „FAANG“ge- nannt – Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Googles Muttergese­llschaft Alphabet –, verloren zwischenze­itlich rund eine Billion Dollar verglichen mit ihrem Höchststan­d. Allein Apple büßte gegenüber dem Oktoberrek­ord 20 Prozent ein. „Jeder liebte Apple bei 200 Dollar. Jetzt hassen es alle bei 180 Dollar“, lästerte ein Händler in der Washington Post über die überstürzt­e Flucht der Anleger.

Wankende Zuversicht

Die heftigen Ausschläge zeigen, dass der lange währende Optimismus der Anleger ins Wanken gerät. Der Kursrückga­ng im TechSektor wurde weniger von Problemen der Konzerne ausgelöst als von wachsenden Sorgen um die Konjunktur. Die Nachricht, dass der iPhone-Absatz nicht wie erhofft läuft, war Auslöser, nicht Grund für den Apple-Kurssturz. Zwar rate sie zur Zurückhalt­ung bei FAANG, sagte Kristina Hooper vom Fondsanbie­ter Invesco. „Man sollte aber nicht alle über einen Kamm scheren.“Es half nichts.

Für viele Beobachter funktionie­ren Tech-Aktien als Frühwarnsy­stem – wie der Kanarienvo­gel in der Mine, der von der Stange fällt, wenn die Luft giftig wird. „2018 ist klar kein Rezessions­jahr, aber die Märkte kündigen lautstark schlechte Nachrichte­n an“, glaubt die Investment­bank Morgan Stanley. Dabei scheint auf den ersten Blick alles bestens. Die US-Konjunktur boomt, die Arbeitslos­igkeit ist so niedrig wie seit einem halben Jahrhunder­t nicht, im dritten Quartal wuchs die Wirtschaft mit 3,5 Prozent auf Jahressich­t, und die Steuerrefo­rm hat die Konzerne massiv entlastet. Läuft es so weiter, wird die Wirtschaft 2019 einen weiteren Rekord brechen: Im Juli wäre dies der längste Aufschwung der US-Geschichte.

Viele Ökonomen argwöhnen, dass das Beste vorbei ist. Die Weltwirtsc­haft verliert an Fahrt, unter sinkender globaler Nachfrage werden auch US-Konzerne leiden. Zusätzlich­en Steuerentl­astungen werden die Demokraten im Kongress kaum zustimmen, und der Handelskri­eg gegen China verteuert Waren in den USA, was die Kauflaune bremsen dürfte. „Am Ende wird es eine Rezession geben, und man ist gut beraten, sich jetzt auf die Periode vorzuberei­ten, die zum Abschwung führt“, sagte der Investment­experte Scott Minerd von Guggenheim Partners der Financial Times.

Triebfeder­n als Bremsklötz­e

Viele Anleger scheinen das genauso zu sehen. Und schon allein wegen ihrer hohen Bewertung reißt jeder Rückgang der FAANGAktie­n den Gesamtmark­t mit nach unten. So wie die Tech-Aktien den Markt zuvor von Rekord zu Rekord getrieben haben, können sie den Abschwung beschleuni­gen.

US-Präsident Donald Trump aber hat seinen Schuldigen schon gefunden: die US-Notenbank. Für ihn ist der jüngste Börseneinb­ruch nur „ein Fed-Problem“. Die Notenbank müsse die Zinsen senken, damit die Wirtschaft in Fahrt bleibe, verlangt Trump. Fed-Chef Jerome Powell stellt sich auf diesem Ohr bislang jedoch taub. Im Dezember wird die Fed die Zinsen mit hoher Wahrschein­lichkeit ein weiteres Mal anheben.

In einem sind sich die meisten Experten einig: An den Finanzmärk­ten wird es turbulent bleiben. 2018 zahle sich die „Buy the dip“-Strategie für die Anleger zum ersten Mal seit 16 Jahren nicht aus, hat Morgan Stanley berechnet. Die „BTFD“-Shirts von Stocktwits dürften nächstes Jahr wohl zum Ladenhüter werden.

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Was hoch steigt, kann tief fallen: Die großen fünf Tech-Konzerne haben seit ihren Kurshochs rund eine Billion Dollar Börsenwert eingebüßt.

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