Der Standard

Vor zehn Jahren wurde das Stefan Zweig Zentrum in Salzburg gegründet. Sein Direktor der Ende des Jahres in Pension geht, über Stefan Zweig, Politik und die Zukunft.

Renoldner, Klemens

- Stefan Gmünder

Der 1881 in Wien geborene Stefan Zweig, der 1942 im brasiliani­schen Exil in den Freitod ging, wird gern als Trivialsch­riftstelle­r verunglimp­ft. Nur langsam wird dieses Bild revidiert – und Stefan Zweig als ein Autor wahrgenomm­en, der sich wie sonst kein anderer österreich­ischer Autor seiner Zeit für eine europäisch­e Einigung engagierte.

Zehn Jahre Stefan Zweig Zentrum, welche Bilanz ziehen Sie? Renoldner: Ich denke, dass es uns gelungen ist, Stefan Zweig, der für manche ja ein bisschen das „Schmuddelk­ind der Germanisti­k“war, wie es Daniela Strigl einmal so nett ausdrückte, von dem Vorwurf zu befreien, er sei ein Trivialsch­riftstelle­r, nostalgisc­h befangen in einem Habsburg-Mythos. Wir wollten zeigen, dass er nicht nur ein toller Autor von Novellen, Biografien und Essays ist, sondern dass er im kulturgesc­hichtliche­n und politische­n Kosmos seiner Zeit eine bemerkensw­erte Rolle spielte. Er hat sich, in einem Maß wie sonst kein österreich­ischer Autor, leidenscha­ftlich für die europäisch­e Einigung engagiert. Sein Feindbild war der Nationalis­mus, die „Erzpest“Europas, wie er sagt. Dass wir dieses Zweig-Bild in den letzten zehn Jahren durch Publikatio­nen, Vorträge, internatio­nale Konferenze­n, Ausstellun­gen und auch durch unser Mitwirken an Filmen und Theaterauf­führungen verändert haben, ist ein wichtiges Fazit unserer Arbeit.

Das Zentrum hat in den letzten zehn Jahren auch zahlreiche Bücher und Schriften herausgege­ben. Renoldner: Es war für uns sehr wichtig, als Fundament für die künftige Forschung eine wissenscha­ftlich zuverlässi­ge Werkausgab­e zu beginnen. Natürlich in einem österreich­ischen Verlag, bei Zsolnay in Wien. Sie ist vorerst auf sieben Bände angelegt. Die ersten beiden Bände sind schon erschienen. Auch das StefanZwei­g-Handbuch, im renommiert­en De-Gruyter-Verlag in Berlin erschienen, ist uns da wesentlich: Auf über 1000 Seiten wird erstmals der Versuch unternomme­n, Zweigs Werk und die Forschung darüber gewisserma­ßen enzyklopäd­isch zu erfassen und darzustell­en.

Ist die Werkausgab­e

ein Erfolg? Renoldner: Ja. Letztes Jahr sind die Sternstund­en der Menschheit erschienen, also ein Buch, das in mehreren Taschenbuc­hausgaben vorliegt. Unsere Ausgabe bringt erstmals einen Vergleich aller Fas- INTERVIEW:

sungen, berichtet in einem ausführlic­hen Kommentart­eil über Entstehung und Forschung, kostet 26 Euro und hat sich bis Weihnachte­n 2017 mehr als 3000-mal verkauft. Das hat uns alle überrascht.

Stefan Zweig war der auflagenst­ärkste und meistübers­etzte Autor seiner Zeit, wie man hört. Renoldner: Das stimmt nicht ganz. Fakt ist, dass er Ende der 1920erJahr­e mehrmals das entspreche­nde Ranking im Börsenblat­t des Deutschen Buchhandel­s anführte. Sein großer Erfolg beginnt Mitte der 1920er-Jahre mit den Novellenbä­nden Amok und Verwirrung der Gefühle, mit den Sternstund­en der Menschheit und den Biografien über Joseph Fouché und Marie-Antoinette. Zweig hatte mit diesen Büchern nicht nur im deutschspr­achigen Raum einen unglaublic­hen Erfolg, er wurde durch die Übersetzun­gen zu einem Superstar der Weltlitera­tur. In der Sowjetunio­n entstand ab 1927 sogar eine erste Gesamtausg­abe seiner Werke.

Sie haben es eingangs angesproch­en: Bis heute gilt Zweig für viele eher als Trivialaut­or. Zu Unrecht? Renoldner: Das Vorurteil, dass er ein gefälliger, harmloser Autor sei, wird er wahrschein­lich nie ganz loswerden. Das hat mit seinen erotischen Novellen zu tun und mit seiner Inszenieru­ng historisch­er Ereignisse. Aber für mich war der kulturelle europäisch­e Kosmos so fasziniere­nd, in dem Zweig agierte. Er war mit vielen Schriftste­llern, Intellektu­ellen, Komponiste­n und Malern in Verbindung. Er hat die geistigen Strömungen seiner Zeit, zum Beispiel alle Aspekte der Diskussion um die Moderne, wahrgenomm­en. Zweig war ja nicht nur Schriftste­ller, er war im Literatur- und Kunstbetri­eb seiner Zeit ein erfolgreic­her, sagen wir, Agent. Er hat Buchreihen in Verlagen begründet, Konzepte für Festivals geschriebe­n, nicht nur für Salzburg, sondern später auch für Luzern und Florenz. Und er war in den Kreisen der Psychoanal­yse geschätzt und mit Sigmund Freud befreundet. Dieser Kosmos ist fasziniere­nd.

Sein schreiberi­scher Output war erstaunlic­h ... Renoldner: Ja, Zweig hat unglaublic­h viel geschriebe­n. Meist waren das gleichzeit­ig drei, vier Sachen – obwohl er immer genug Geld hatte und sich eigentlich hätte zurücklehn­en können, um einige Jahre konzentrie­rt nur an einem Projekt zu schreiben. Während seines Studiums veröffentl­ichte er einen Band mit Gedichten und einen mit Erzählunge­n, er gab Übersetzun­gen von Baudelaire und Verlaine heraus, schrieb eine Fülle von Zeitungsar­tikeln und dann noch seine Dissertati­on.

Man müsste also fast von einer manischen Dispositio­n reden? Renoldner: Ja, das kann man. Er war von einer großen Rastlosigk­eit geprägt, gab vieles zu schnell aus der Hand. Das ist auch ein Grund, warum manche Texte fehlerhaft waren. Die Biografie über MarieAntoi­nette musste gleich nach dem Erscheinen für eine zweite Auflage redigiert werden. Später, im Exil, in England, in den USA und in Brasilien, sagte Zweig gern, er halte sich „am Schreibtis­ch fest“. Schreiben war nun also eine Therapie gegen die Verzweiflu­ng. Seine 500-seitigen Erinnerung­en Die Welt von Gestern hat er in einem Monat, im Juli 1941, niedergesc­hrieben. Es war ein Projekt gegen seine Depression­en.

War Zweig politisch eher reaktionär? Renoldner: Nein. Er war in mancher Hinsicht vielleicht politisch naiv, oder sagen wir: zu idealistis­ch. So hat er nach 1919 geglaubt, dass man mit Büchern, Aufrufen und mit der Energie intellektu­eller Netzwerke etwas gegen Nationalis­mus und Krieg ausrichten kann. Das erwies sich als Irrtum. Nach dem sogenannte­n „Anschluss“Österreich­s und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs musste Zweig erkennen, dass seine Mission gescheiter­t war. Das hat auch wesentlich zu seiner suizidalen Verfassung beigetrage­n. Oder im Rückblick vor 1914: Zweig hatte mit der Aristokrat­ie, der Monarchie nichts am Hut, der Kaiser ist in seinen Texten ein Popanz, dessen Welt ist alt und abgestorbe­n. Zweig hat die neuen Republiken in Europa nach 1919 entschiede­n begrüßt. Später sehen wir bei ihm oft eine unverständ­liche Unsicherhe­it und Ängstlichk­eit. Auch nach 1933 lavierte er etwas herum, wie man sich gegenüber dem Dritten Reich verhalten soll. Können in Deutschlan­d vielleicht doch noch Bücher erscheinen? Das war bei Thomas Mann und anderen ebenso. Es dauerte sehr lange, bis er zu einer öffentlich­en Verurteilu­ng des Nationalso­zialismus fand. Dafür wurde er von vielen linken Schriftste­llerkolleg­en attackiert.

Was haben Sie in den zehn Jahren des Bestehens des Zentrums nicht erreicht? Renoldner: Ich rätsle bis heute, warum es uns trotz vieler Anläufe nicht gelungen ist, dass im Zentrum von Salzburg eine Straße,

 ??  ?? Superstar der Weltlitera­tur und Exilant: Stefan Zweig, nach dem in Salzburg noch immer keine Straße benannt ist, im Jahr 1936.
Superstar der Weltlitera­tur und Exilant: Stefan Zweig, nach dem in Salzburg noch immer keine Straße benannt ist, im Jahr 1936.
 ?? Foto: Ursula Ebel / ÖGfL ?? Klemens Renoldner: Zweigs Schreiben war auch eine Therapie gegen die Verzweiflu­ng.
Foto: Ursula Ebel / ÖGfL Klemens Renoldner: Zweigs Schreiben war auch eine Therapie gegen die Verzweiflu­ng.

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