„Hier sind die Grenzen aufgelöst“
Wie die Kunst bei der digitalen Revolution mitmischt, zeigt sich jetzt in einem Symposium der Wiener Angewandten. Der Filmer Virgil Widrich ist ganz vorn dabei, denn er befasst sich mit den Berufen der Zukunft.
Der technologische Umsturz prescht voran. Mit künstlicher Intelligenz, genetischem Ingenieurwesen und Robotik verändern sich Lebens- und Denkweisen sowie Wirtschaftsund Arbeitsfelder grundlegend.
Die Universität für angewandte Kunst Wien hat sich dieser Revolution geöffnet. Den Beweis dafür liefert sie am 29. November mit einem zusammen mit der Forum Morgen Privatstiftung veranstalteten Symposium „Digitale Transformationen – Gesellschaft, Bildung und Arbeit im Umbruch“.
Zündende Gedanken liefern neben Medienkünstler Peter Weibel und Angewandte-Rektor Gerald Bast unter anderen der Filmregisseur (sein Kurzfilm Copy Shop wurde für den Oscar nominiert) und Leiter des AngewandteMasterlehrgangs Art & Science Virgil Widrich. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft.
Wozu interessiert sich eine Kunstuni für die Arbeitswelt? Widrich: Die wesentlichen industriellen Revolutionen hatten schon bisher mit der Angewandten zu tun, und so wird es auch weiterhin sein. Jetzt stellen sich Fragen wie: Welche Berufsbilder wird es geben, und welche Art von Menschen brauchen wir, um die Gesellschaft aktiv zu gestalten? Hier kann die Angewandte ein Experimentierfeld für eine andere Art der Ausbildung sein.
Jenseits der Frage, wer kunstschaffend und wer anderweitig kreativ ist? Widrich: Das Symposium ist bei weitem nicht nur für Künstler interessant. Kunsthandwerk und Industriedesign sind zwar anders als Kunst, aber die Grenzen dazwischen sind aufgelöst. Ebenso verschwimmt die Grenze zwischen Künstlern und Unternehmern, und in der Technik ist Innovation auch ein kreativer Prozess. Gleiches gilt für Wissenschafter. Sie versuchen genauso detektivisch die Welt zu erforschen wie Künstler. Da kann man fragen: Wie unterscheiden sich die kreativen Prozesse, und was könnte man voneinander lernen?
Was folgt daraus für die Zukunft der Arbeit?
Es wird sicher neue Arbeitsfelder geben, zum Beispiel in der Herstellung von Wissenstransfers zwischen ganz unterschiedlichen Disziplinen. Ich möchte bei dem Symposium über die Museen sprechen. Anhand der Transformation der Berufsbilder in den Museen während der vergangenen 30 Jahre kann man versuchen hochzurechnen, was da weiter passieren könnte.
Das klingt vielversprechend für Hoch- und Höchstqualifizierte – aber es wird doch immer auch weniger qualifizierte Menschen geben. Was passiert mit denen?
Merkmal solcher hochqualifizierter Jobs ist eine Doppel-, Drei- oder Vierfachbegabung. Je mehr übergreifendes Wissen vorhanden ist, desto besser. Was das für sogenannte niederqualifizierte Menschen heißt, ist sehr fraglich. Aber Niederqualifizierte sind ja auch die Folge einer bestimmten INTERVIEW: Gesellschaftsform. Man wird erstens generell die Qualität der Bildung heben müssen. Und zweitens wird man ein Steuerungssystem über Abgaben brauchen, das hier ausgleichend wirkt.
Viele erfahren jetzt, dass ihre Jobs gefährdet sind. Das befeuert Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Was tun? Widrich: Die Verunsicherung ist vor allem gefühlt. Als Folge braucht man einen Sündenbock. Und wenn es keinen gibt, dann wird es Parteien geben, die einen solchen erzeugen. Der Erfolg dieser Parteien in Europa oder auf der ganzen Welt ist natürlich erschreckend. Er würde sich verstärken, wenn immer mehr Menschen an der Zukunft zweifeln.
In den USA sieht man die Folgen einer Politik, die diese Zweifel ignoriert hat. Ist das ein Vorbild? Widrich: Amerika ist für fast nichts ein Vorbild. Mich erschüttert, dass wir von den USA emotional so abhängig sind. Ein Grund dafür mag sein, dass sie uns vor nicht allzu langer Zeit vor uns selbst gerettet haben. Aber ich finde ihre Vaterrolle mittlerweile unerträglich, weil wir zulassen, dass unsere Infrastruktur von Amerika gesteuert wird. Amazon, Apple und Ähnliche saugen Europa aus und geben fast nichts zurück.
Wie kann Europa hier gegensteuern? Widrich: Ein erster Schritt wäre, Waffengleichheit durch entsprechende Rechte und Gesetze herzustellen. Zweitens braucht es mehr Geld und Möglichkeiten, um europaweit digitale Unternehmen zu betreiben. Und es wären europaweit neue, große Visionen und entsprechende Strukturen nötig. Ein positives Beispiel dafür, wie es funktionieren könnte, ist der europäische Film. Der existiert in der heutigen Form, weil nicht nur Kunstschaffende da sind, die Filme machen wollen, sondern weil auch der politische Wille vorhanden ist. Deswegen gibt es die Finanzierung, Gesetze, Ausbildung, Filmuniversitäten. Ähnliches wäre auch in anderen Bereichen, in der Digitalisierung und beim Internet, vorstellbar.
VIRGIL WIDRICH (51) ist Filmemacher und Multimediakünstler.