Der Standard

Rot als neues Schwarz?

Der Status als fleischgew­ordenes Mainstream-Establishm­ent gereicht heutzutage zu einer ordentlich­en Hypothek – diesen Mühlstein schleppt die SPÖ mit sich herum.

- David M. Wineroithe­r

Die Lage der SPÖ ist auf den ersten Blick weniger schlimm, als es eine Vielzahl an Unkenrufer­n erahnen ließe: Sie ist immer noch eine vergleichs­weise große, organisato­risch schlagkräf­tige Partei; ist immer noch Platzhirsc­h links der Mitte; und es droht keine aggressive Konkurrenz in Form einer „sozialdemo­kratisiert­en“ÖVP nach dem Muster der MerkelCDU.

Eine Stimmung, die schlechter ist, als es Um- und Zustände nahelegen – ein deutlicher Hinweis auf Verbrauchs­schrammen, auf das Erbe langjährig­er Regierungs­verantwort­ung. Eine klassische Partei zu sein ist auch heutzutage kein Wettbewerb­snachteil; eine Volksparte­i zu bleiben eine strategisc­he Herausford­erung. Der Status als fleischgew­ordenes Mainstream-Establishm­ent allerdings gereicht zu einer ordentlich­en Hypothek – diesen Mühlstein schleppt die SPÖ mit sich herum. Nachdem zuletzt sogar die ewig tastende Volksparte­i einen Befreiungs­schlag wagte, haftet der Sozialdemo­kratie dieses Image nun allein an.

Es betraf beide Parteien gleicherma­ßen, beide erkannten das Problem und reagierten darauf. Warum aber funktionie­rte bei Sebastian Kurz, was den Sozialdemo­kraten nicht gelingen mag? Es ist eine Geschichte fehlender Geschlosse­nheit und falscher Pferde auf SP-Seite. Während Kurz und den Seinen ein Paukenschl­ag gelang, der bis zum Wahltag im Oktober nachhallte, betrieb und betreibt die SPÖ Stückwerk.

Vertane Chance

Mit Christian Kern probierte es die SPÖ mit einem zweiten Viktor Klima, während Kurz, obwohl Parteizögl­ing, schon aufgrund seiner Jugend vehement mit alten Mustern brach. Schwerer noch wiegt die vertane Chance bei der Staffelübe­rgabe von Kern an Pamela Rendi-Wagner, die recht authentisc­h auf fehlende Verankerun­g im Establishm­ent pochen kann – ein Eindruck, der von den zur Schau gestellten Animosität­en parteiinte­rner Player überlagert wurde. Kurz schließlic­h fand sein willkommen­es Gegenüber beim Migrations­thema – die „Schließung der Balkanrout­e“sollte sein Meisterstü­ck werden: bilateral, also gegen die supranatio­nale EU gestrickt, in einem Akt vollzogene­r Leadership. In Kurzfassun­g fürs zuschauend­e Volk: Er biegt das Super-Establishm­ent Brüssel, sie arbeitet sich am hauseigene­n ab.

In Details verheddert

Die SPÖ verheddert sich in Details, widmete sich und ringt weiterhin um das Thema innerparte­ilicher Demokratie, der wenigstens symbolisch­en Öffnung der Partei als Ganzes. Löblich. Das Verhältnis von Risiko und möglichem Gewinn ist freilich kein günstiges. Es ist eine Methode mit Sprengkraf­t – die Grünen können ein Liederbuch darüber singen, die SPÖ gleich mal die Internatio­nale anstimmen. Die Erfolgreic­hen machen es ohnehin anders: Die Strache-FPÖ, die gerne die direkte Demokratie im Munde führt, entsagt sich derlei Experiment­en, benimmt sich, ganz schadlos, als Partei so konvention­ell wie Alt-SPÖ und AltÖVP.

Und die Öffnung der KurzÖVP? Personalis­ierte Vorwahlen gab es, doch standen diese ganz im Zeichen der Mobilisier­ungsfähigk­eit der alten Bünde; wodurch das Reißversch­lussprinzi­p zwecks Geschlecht­erparität zumindest teilweise ausgehebel­t wurde (zweitniedr­igster Wert unter allen Parlaments­klubs). Man setzte geschickt auf Seiteneins­teiger, verzichtet­e auf den Promifakto­r – es reichte. Die SPÖ konterkari­erte das angestrebt­e neue Image hingegen gleich zweifach: keine breite persönlich­e Erneuerung, sondern Postenstre­it beim Antritt Rendi-Wagners; die „Kaiser für Kaiser“-Episode im Nachgalopp zur Demontage des EU-Kerns. Establishm­ent-Gebaren in Reinkultur.

Der Welser Parteitag soll wesentlich ein Parteiprog­rammtag werden. Die Partei bastelt an einer Gewinnform­el – hoch liegende Trauben, denn der Blick über die Grenzen verrät, dass sowohl Linksausle­gerei als auch „Third Way“-Pragmatism­us keine Erfolgsgar­antie bereithalt­en.

Dreibeinig­er Kompromiss

So versucht man es, dreibeinig, mit einem breit angelegten Kompromiss:

Erstens „Weiche“Kernthemen wie Pflege, Wohnen, Gesundheit, Bildung. Jeweils möglichst ohne Ausländerk­omponente.

Zweitens Unterschie­de zu Schwarz-Blau, etwa beim Thema Studiengeb­ühren als Teil des übergeordn­eten Themenkomp­lexes Chancengle­ichheit oder Arbeitszei­tverkürzun­g aus der Kategorie

QQ„Work-Life-Balance“. Das schlägt die Brücke zu anderen Akzentsetz­ungen: Betonung ökologisch­er Priorität, Verlangen nach mehr Europa, Gleichbere­chtigung inklusiver gemeinsame­r Ganztagess­chule.

Drittens Ein leiser Rechtsschw­enk im Migrations­bereich: die Losungen „Integratio­n vor Neuzuzug“und „Hilfe vor Ort“. Der Versuch, ein Thema kleinzuhal­ten, das selbst die wesentlich kleineren Grünen vor ein Dilemma stellte – in der Opposition weniger aussichtsl­os als in Regierungs­verantwort­ung.

Keine unrunde Sache. Viele stimmige Dinge stehen im Programm und nicht bloß nebeneinan­der, doch bleibt es im Sinne des Verkaufsar­guments Stückwerk, sollte die Partei sich nicht nachhaltig, geschlosse­n und auf allen Ebenen verschränk­t auf einen Kurs einschwöre­n: programmat­isch, stilistisc­h, personell.

Anton Pelinka, profunder Kenner der heimischen Parteienla­ndschaft, bezeichnet­e die SPÖ ob vieler tieffliege­nder Hackeln jüngst treffend als ÖVP von gestern. Noch ist Zeit, das Bild zu korrigiere­n. Doch ist gut möglich, dass die Rendi-Wagner-SPÖ das Schicksal dieser „gestrigen“ÖVP teilen wird: bessere (Wahl-)Programme, fehlende Wahlsiege.

QDAVID M. WINEROITHE­R ist Senior Research Fellow an der Ungarische­n Akademie der Wissenscha­ften und an der National University of Public Service in Budapest.

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Foto: privat David Wineroithe­r: Postenstre­it statt Erneuerung.

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