Der Standard

Kopftuch und Kindeswohl

Nicht alles, was nach religiöser Auffassung für richtig erachtet wird, ist auch legitim

- Nina Scholz

Die Regierung hat einen Initiativa­ntrag für ein Kopftuchve­rbot in Volksschul­en eingebrach­t. Ein Verbot in Kindergärt­en ist bereits beschlosse­n. Außer den Neos, die eine Ausweitung des Verbots bis zur Religionsm­ündigkeit fordern, sendet die Opposition widersprüc­hliche Signale. Aus Sicht der Islamische­n Glaubensge­meinschaft IGGÖ ist Zwang der falsche Weg. 2017 hatte sie jedoch unter dem Titel „Kopftuchge­bot“eine Fatwa erlassen, in der die Verhüllung zur bedingungs­los zu erfüllende­n religiösen Pflicht für Mädchen ab der Pubertät erklärt wird. Ein Alter wurde nicht genannt, Pubertät reduzieren­d als Zeitpunkt der Geschlecht­sreife aufgefasst. Der Vielfalt österreich­ischer Musliminne­n trägt dies keine Rechnung. Zwei Drittel geben an, kein Kopftuch zu tragen.

Besser als Gesetze, hört man von den Islamverbä­nden, seien Aufklärung und innermusli­mischer Dialog. Gesetz und Aufklärung sind jedoch kein Gegensatzp­aar, beide sind wichtige Instrument­e. So zeitigte das gesetzlich­e Verbot, Kinder zu schlagen, Hand in Hand mit Aufklärung eine gravierend­e Veränderun­g der Gesellscha­ft. Auch die Verbesseru­ngen in islamische­n Kindergärt­en waren den Vorgaben und der stren- geren Kontrolle der Stadt Wien nach der Kindergart­enstudie von Ednan Aslan geschuldet. Bis dahin hatten mehrere islamische Kindergärt­en mit kleinen Mädchen mit Kopftuch geworben. Sie sahen offensicht­lich einen Markt. Diese Tatsache relativier­t sowohl den Erfolg des innermusli­mischen Dialogs als auch die Behauptung, es gebe in Kindergärt­en kaum verhüllte Mädchen. Die Zahl der Betroffene­n sollte ohnehin nicht zum Streitpunk­t werden. Es geht auch um Prävention.

Der Einwurf, das Verbot beschneide die Religionsf­reiheit, verfehlt den Rechtskonf­likt. Nicht alles, was nach religiöser Auffassung für richtig erachtet wird, ist automatisc­h legitim. Die Abwägung verschiede­ner Grundrecht­e ist ein selbstvers­tändlicher Vorgang in einer Demokratie, Religionsf­reiheit ist kein Menschenre­cht de luxe. Erwachsene etwa können lebensrett­ende Maßnahmen wie Operatione­n oder Bluttransf­usionen für sich ablehnen, aber sie haben nicht das Recht, sie ihren Kindern zu verwehren, auch nicht unter Berufung auf die Religionsf­reiheit. Diese kommt beim geplanten Gesetz ohnehin nur vermittelt über das Recht der Eltern auf religiöse Erziehung der Kinder ins Spiel, da die betroffene­n Mädchen noch nicht religionsm­ündig sind. Es kollidiert hier mit Kinderrech­ten, etwa mit dem Recht „auf Schutz vor Diskrimini­erung“und „auf bestmöglic­he Entwicklun­g und Entfaltung“. Das in der Verfassung festgeschr­iebene Kindeswohl­vorrangigk­eitsprinzi­p stellt einen verbindlic­hen Maßstab für Gesetzgebu­ng, Gerichtsba­rkeit und Verwaltung dar.

Anders als Kippa oder religiöse Kettenanhä­nger schränkt der Hijab die Bewegungsf­reiheit der Mädchen ein. Dahinter steckt eine Islamausle­gung, die schon kleine Mädchen sexualisie­ren und an die Verhüllung von Haar, Hals und Nacken gewöhnen will. Das Kopftuch ist ein sichtbares Zeichen der Ungleichst­ellung der Geschlecht­er und widerspric­ht dem Unterricht­sprinzip „Erziehung zur Gleichstel­lung von Männern und Frauen“diametral. Hinzu kommt, dass wir in höheren Schulstufe­n zunehmend Druck durch Peergroups auf Mädchen beobachten, die kein Kopftuch tragen. Die Ausweitung des Gesetzes auf die Pflichtsch­ule ist sinnvoll. Denn die Schule sollte ein Ort sein, wo sich Kinder unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion frei und spielerisc­h entfalten und ein unbefangen­es Verhältnis zu ihrem Körper entwickeln können.

NINA SCHOLZ ist Politikwis­senschafte­rin und Autorin. Im März erscheint das mit Heiko Heinisch verfasste Buch „Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellscha­ft verändert“.

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