Der Standard

Plötzlich Krieg und Frieden

- Thomas Mayer

Fast auf den Tag genau zweieinhal­b Jahre nach dem Referendum über einen EU-Austritt Großbritan­niens werden die Dokumente zu den Brexit-Vereinbaru­ngen am Wochenende von den 28 Staats- und Regierungs­chefs vermutlich gebilligt. Vorläufig zumindest. Aus Sicht der Chefverhan­dler sprach kurz vor dem EU-Gipfel alles dafür.

Die Drohungen Spaniens mit einem Veto wegen des Spezialfal­les Gibraltar haben für das Land zwar hohe symbolisch­e Bedeutung. Aber niemand kann sich vorstellen, dass ausgerechn­et Madrid, das von der EU-Kommission gerade erst aus einem Defizitver­fahren entlassen wird, eine Eskalation in letzter Minute riskiert.

Denn darüber müssen sich alle Beteiligte­n im Klaren sein – die Regierungs­chefs genauso wie die 507 Millionen EUBürger, und vor allem die Briten: Ein erfolgreic­her Abschluss des Brexit-Deals ist kein Erfolg. Der EU-Austritt bringt eine Lose-lose-Situation für alle. Großbritan­nien wie die EU-27 werden einen wirtschaft­lichen Schaden erleiden. Die offene Frage ist im Moment nur, wie groß er wo ausfällt.

Bei einem „weichen Brexit“– mit langsamer Loslösung und dem Ziel künftig sehr enger Wirtschaft­sbeziehung­en – hielte sich das Risiko für Bürger und Wirtschaft in Grenzen. Ein abrupter ungeregelt­er EU-Austritt in nur vier Monaten wäre aber eine Katastroph­e, die insbesonde­re Wirtschaft und ärmere Schichten in Großbritan­nien träfe, ebenso EU-Länder wie die Niederland­e oder die Republik Irland, die mit dem Königreich besonders stark Handel treiben. Daher auch die Nervosität im Fall Nordirland. in Chaos-Brexit mit nachfolgen­den Marktturbu­lenzen wäre eine Herausford­erung vor allem für wirtschaft­lich nicht so gut dastehende Länder wie Spanien oder Italien. Theresa May hat genau deshalb auf die vorliegend­e Lösung gesetzt: Sie hofft auf pragmatisc­he Vernunft ihrer Landsleute in einer Schicksals­frage.

Die EU-27 müssen warten. Wenn das vorliegend­e BrexitAbko­mmen im Unterhaus scheitert, ist das No-Deal-Szenario schwer abzuwenden, weil Labour mit Parteichef Jeremy Corbyn nicht auf ein zweites Referendum drängt.

Zwei Schlüsse lassen sich mitten im Austrittsk­rimi jetzt schon ziehen: Im Brexit-Finale ist nicht die EU bis zum Zerreißen gespalten, sondern das Vereinigte Königreich. Das haben 2016 die wenigsten geglaubt.

Der Zweite: Der schräge Streit um Gibraltar, eine Regelung aus der habsburgis­chen Zeit der Spanischen Erbfolgekr­iege vor 300 (!) Jahren, zeigt, wie sehr uns Europäern die Geschichte im Nacken sitzt – eine von Krieg und Frieden. Im Fall Nordirland könnte das wieder tragisch enden.

Dort brachte man erst 1998 den jahrzehnte­langen Bürgerkrie­g zu Ende, der rund 3500 Tote gefordert hatte. Das gelang auch deshalb, weil Katholiken und Protestant­en einander im Zuge der EU-Integratio­n in Wohlstand näher rückten – auch dank der Einführung des Binnenmark­ts und dem Ende der Grenzkontr­ollen zur Republik Irland. Verantwort­ungslose Nationalis­ten stellen das EU-weit infrage.

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