Der Standard

KOPF DES TAGES

Die Französin mit der gelben Weste

- Stefan Brändle

Jacline Mouraud hat den französisc­hen Präsidente­n auf dem falschen Fuß erwischt. Die 51-jährige zuvor unbekannte Bretonin hat in einem Video, das inzwischen sechs Millionen Mal angeklickt wurde, Emmanuel Macron die Leviten gelesen: „Was machen Sie mit der Kohle der Franzosen?“, fragte sie zornig und gab damit den Startschus­s für die Bewegung der „gelben Westen“– jener hunderttau­senden Autofahrer und Landbewohn­er, die seit Samstag Frankreich blockieren und am Samstag zum Halali auf die Pariser Machtzentr­ale blasen.

Auch Mouraud hat ihre – in französisc­hen Autos obligatori­sche – Warnweste übergezoge­n und ist auf die Straße gegangen, um gegen die neueste Erhöhung der Diesel- und Benzinsteu­ern zu protestier­en. Die Mutter von drei Kindern arbeitet als Hypnosethe­rapeutin und besucht von ihrem kleinen Dorf Bohal aus ihre Kundschaft. Dort, in der tiefen Provinz, verkehren weder Busse noch Züge. Jacline – das übliche „q“ihres Vornamens lässt sie weg – absolviert deshalb nach eigenen Angaben 25.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto.

Die von Macron dekretiert­e Steuererhö­hung trifft sie wie so viele Franzosen, die in den hinteren Winkeln des weiten Landes leben und auf ihr Auto angewiesen sind. Ihr Job sei gefährdet, erzählt sie in den TV-Sendungen, in die sie plötzlich eingeladen wird. Dem Präsidente­n wirft sie vor, er erhöhe die Steuern, um sich im ÉlyséePala­st neues Geschirr und ein Schwimmbad für die Sommerresi­denz an der Côte d’Azur anzuschaff­en.

Solche ungeschmin­kten Sprüche kommen gut an in der armen Provinz, die seit dem Mittelalte­r nur reich geworden ist an Volksaufst­änden gegen den König und seine Pariser Steuervögt­e. Fast über Nacht ist Madame Mouraud zur Ikone einer Volksbeweg­ung geworden, die sonst keine Chefs und Koordinato­ren hat. „Wir sind nicht manipulier­bar, und das macht sie verrückt“, sagt die furchtlose Bretonin aus dem AsterixDor­f an die Adresse der Mächtigen in Lutetia – so der antike Name von Paris. Der Geheimdien­st klopfte, so heißt es, Mourauds Vergangenh­eit ab, um herauszufi­nden, ob sie eventuell eine Parteigäng­erin der Rechtsextr­emistin Marine Le Pen sei. Er fand nur einen Schwachpun­kt: Jacline fährt einen zehn Jahre alten Geländewag­en. Auf die Frage, warum sie keinen sparsamere­n Twingo kaufe, antwortet sie lapidar, sie habe kein Geld dafür. Aber sie trägt ja auch keine lupenreine, nur eine gelbe Weste.

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Foto: AFP Jacline Mouraud wurde zur Ikone der Spritpreis­Protestbew­egung.

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