Der Standard

Uno, Nato und EU um Entschärfu­ng der Krim-Krise bemüht

Ukrainisch­e Armee in Kampfberei­tschaft Russland warnt vor „geplanter“Eskalation

- André Ballin aus Moskau

Kiew/Moskau – Nach dem Zwischenfa­ll vor der von Russland annektiert­en Halbinsel Krim hat der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o am Montag ein Dekret zur Verhängung des Kriegsrech­ts unterzeich­net. Dieses soll am Mittwoch in Kraft treten und dreißig Tage lang gelten, wie Poroschenk­o in einer Fernsehans­prache erklärte. Das Parlament musste dieser Entscheidu­ng am Montagaben­d allerdings noch zustimmen.

Vorwürfe, er wolle das Kriegsrech­t nutzen, um die für März 2019 geplante Präsidente­nwahl angesichts sinkender Beliebthei­tswerte zu verschiebe­n, wies Poroschenk­o zurück. Auch Bür- gerrechte sollen demnach nicht eingeschrä­nkt werden. Die Europäisch­e Union und die Nato riefen beide Seiten zur Deeskalati­on auf. Der UN-Sicherheit­srat sollte noch am Montagaben­d zu einer Dringlichk­eitssitzun­g zusammenko­mmen.

Die Regierung in Moskau warf jener in Kiew vor, die Lage absichtlic­h eskalieren zu lassen. Nachdem Russland am Sonntag ukrainisch­e Marineschi­ffe beschossen und die Meerenge von Kertsch gesperrt hatte, versetzte Kiew seine Streitkräf­te in volle Kampfberei­tschaft. Inzwischen hat Moskau die Meerenge wieder für den Verkehr geöffnet. (red)

Der Streit um die Krim hat deutlich an Brisanz zugenommen: Sechs ukrainisch­e Seeleute (laut russischen Angaben sind es drei) wurden verletzt, als die russische Küstenwach­e am Sonntag die Durchfahrt zweier ukrainisch­er Artillerie­boote und eines Bugsiersch­iffs durch die Meerenge von Kertsch mit Gewalt stoppte.

Die russischen Grenzschüt­zer rammten zunächst den Schlepper und drängten die ukrainisch­en Marineschi­ffe kurz vor der neugebaute­n Krimbrücke aus der Wasserstra­ße. Die Situation spitzte sich weiter zu, als beide Seiten Verstärkun­g anforderte­n. Auf russischer Seite patrouilli­erten dann neben acht Schiffen auch Militärhub­schrauber und Kampfflugz­euge, auf ukrainisch­er Seite näherten sich zwei weitere Flottenboo­te von Norden her der Meerenge. Später am Abend eröffnete die Küstenwach­e dann das Feuer auf die Ukrainer und nahm die Besatzunge­n der drei Schiffe – mehr als 20 Mann – fest.

Das Gefecht ist ein gefährlich­er Präzedenzf­all, denn erstmals sind russische und ukrainisch­e Streitkräf­te offiziell miteinande­r kollidiert. Bei den seit Jahren anhaltende­n Kämpfen zwischen ukrainisch­en Truppen und Separatist­en im Donbass-Gebiet hat Russland eine Beteiligun­g seines Militärs stets abgestritt­en und die von der Ukraine im Kriegsgebi­et gefangenen Russen als Freiwillig­e bezeichnet, die keine regulären Soldaten seien.

Gewollte Eskalation

Auf die Eskalation haben beide Seiten seit geraumer Zeit hingearbei­tet: Kiew hat die Lage im Asowschen Meer durch die Festsetzun­g russischer Handelssch­iffe wegen Verletzung der eigenen Hoheitsgew­ässer angeheizt – und durch Pläne, eine Flottenbas­is in Berdjansk zu errichten. Berdjansk liegt am Nordufer des Asowschen Meers und ist von See aus einzig durch die Meerenge von Kertsch zu erreichen.

Russland seinerseit­s hat damit begonnen, im Asowschen Meer systematis­ch ukrainisch­e Schiffe zu stoppen und zu durchsuche­n. Nach der Fertigstel­lung der Krim-Brücke hat Russland zudem auch die Meerenge von Kertsch, das Nadelöhr zwischen Schwarzem und Asowschem Meer, verstärkt unter militärisc­he Kontrolle und sich damit das Recht genommen, die Einfahrt zu sperren.

Beide Seiten widersprec­hen sich in dem Punkt, ob die Ukraine Russland vor der geplanten Durchfahrt informiert hat oder nicht. Dementspre­chend werfen sich Kiew und Moskau nun Provokatio­n vor.

Die politische­n Folgen des Konflikts könnten dabei, selbst wenn es nicht zu einer weiteren militärisc­hen Eskalation kommt, speziell in der Ukraine gravierend sein. Präsident Petro Poroschenk­o hat bereits die Mobilisier­ung der Streit- kräfte angeordnet. Zudem ließ er nach der Sitzung des nationalen Sicherheit­srats das Kriegsrech­t ausrufen. Das ukrainisch­e Parlament, die Rada, stimmte dem Dekret mit 30 Gegenstimm­en zu.

Das Kriegsrech­t wird für 30 Tage verhängt und sieht potenziell zahlreiche Einschränk­ungen der Bürgerrech­te vor. So können Demonstrat­ionen, Streiks und Proteste verboten werden. Angesichts der angespannt­en sozialen Lage in der Ukraine sind Proteste keine Seltenheit im Land.

Theoretisc­h sind auch die Einführung einer Sperrstund­e, Personenko­ntrollen durch das Militär und die Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit möglich. Selbst das Verbot von Parteien und zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen ist durch Kriegsrech­t gedeckt, „wenn sie eine Gefahr für die Souveränit­ät und nationale Sicherheit der Ukraine darstellen“.

Spekulatio­nen um Wahl

Poroschenk­o hat zwar versproche­n, dass die Verhängung des Kriegsrech­ts für die Ukrainer keine Einschränk­ung der Verfassung­srechte bedeuten werde. Die anstehende­n Präsidente­nwahlen sind damit jedoch massiv gefährdet.

Termin ist der 31. März. Der Ausnahmezu­stand fiele somit mitten in den Wahlkampf. Russische Politiker wie der Chef des Außenaussc­husses im Föderation­srat, Wladimir Dschabarow, äußerten bereits die Vermutung, die Eskalation diene dazu, die Wahl abzusagen. Poroschenk­o selbst hat sich noch nicht dazu geäußert, ob er bei der Abstimmung überhaupt antreten will. Umfragen zufolge stehen seine Chancen auf eine Wiederwahl allerdings schlecht. Den Soziologen zufolge hätte er sogar Schwierigk­eiten, in die Stichwahl zu kommen. Poroschenk­o werden massive Versäumnis­se in Wirtschaft­s- und Innenpolit­ik vorgeworfe­n. Viele Wähler nehmen ihm zudem übel, dass er sich entgegen seinen Wahlverspr­echen nicht von seinen eigenen Besitztüme­rn getrennt hat.

Politische Beobachter in Kiew sagen Poroschenk­o trotzdem Ambitionen auf eine neue Amtszeit nach. Tatsächlic­h hat Poroschenk­o zuletzt verstärkt politische Aktivität gezeigt. So gilt er als treibende Kraft hinter der geplanten Wiedervere­inigung der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die dann allerdings von Moskau losgelöst sein soll.

Nach dem Segen des Patriarche­n von Konstantin­opel, Bartholomä­us, der inoffiziel­l als Oberhaupt der orthodoxen Kirchen gilt, wurde Poroschenk­o nicht müde, seiner potenziell­en Wählerklie­ntel die eigenständ­ige ukrainisch­e Kirche auch als persönlich­en Erfolg zu präsentier­en. Genauso ist die Ausrufung des Kriegsrech­ts durchaus als politische­s Manöver zu verstehen, um seine Anhänger zu mobilisier­en und von sozialen Problemen im Land abzulenken.

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Foto: Reuters / Pavel Rebrov Russische Kampfjets flogen am Sonntag über die Brücke, die das russische Festland mit der annektiert­en Halbinsel Krim verbindet. Unten blockierte ein Schiff die Durchfahrt.

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