Der Standard

In liebevolle­r Erinnerung

Ein Jahr ist die Bruchlandu­ng der deutschen Air Berlin her. Ex-Mitarbeite­r trauern der Fluglinie heute noch nach. Auch auf dem Markt ist die Pleite der zweitgrößt­en deutschen Airline noch nicht verdaut.

- Regina Bruckner

In liebevolle­r Erinnerung zum ersten Todestag, gest. am 27. 10. 2017, Berlin. Die „Todesanzei­ge“, die an diesem Wochenende in mehreren deutschen Zeitungen erscheint, ist schlicht. „Es trauern 8000 Ex-Mitarbeite­r, 30 Millionen Passagiere und die Moral“, heißt es in dem schmucklos­en Inserat. Ex-Air-Berlin-Mitarbeite­r haben es geschalten.

Ein Jahr nach dem letzten Flug der bankrotten deutschen Airline von München nach Berlin sind die Nachwehen noch zu spüren. Wie so oft in den Monaten davor war er verspätet. Der Abschied war emotional: Über Berlin flog die letzte Maschine mehrere Schleifen, die auf dem Flugradar wie ein großes Herz aussahen, in Tegel wurde sie durch die Berliner Flughafenf­euerwehr mit Wasserfont­änen begrüßt. Letzte Ehre für den letzten Flug, der dort landete, wo im April 1979 die Geschichte von Air Berlin mit dem Aufbruch nach Mallorca begonnen hatte. Mag sein, dass manche Fluggäste ihre Bordkarte noch heute hüten: „Take care! Tschüss und bye-bye!“Selbst in den sozialen Medien wurde das Ableben der Airline teils heftig beklagt.

Dabei hatte die deutsche Gesellscha­ft die Geduld ihrer Kunden bis zur Insolvenz Mitte August arg strapazier­t. Kurzfristi­g gestrichen­e Flüge, stundenlan­ge Verspätung­en, Gepäckchao­s versauten vielen Passagiere­n zuletzt immer öfter ihren Urlaub. Auf Entschädig­ungen für verfallene Tickets warten sie noch heute.

Was danach kam, ist bekannt: Ein Chaossomme­r, wie Reisende ihn wohl noch nicht erlebt haben. Die Air-Berlin-Pleite trug ihr Scherflein dazu bei und markierte in dieser Episode der Fluggeschi­chte einen Kulminatio­nspunkt, als die EU-Kommission der deutschen Lufthansa die NikiÜberna­hme verwehrte. Aus dem gut geplanten Szenario wurde aus wettbewerb­srechtlich­en Gründen nichts. Es kam, was kommen musste: der Kampf um Marktantei­le mit allen Mitteln.

Neben der Lufthansa sicherten sich mehrere Airlines die Kapazitäte­n. Es ging um wertvolle Startund Landerecht­e. Die einen hatten nicht genug Maschinen zur Nutzung dieser Slots, den anderen fehlte schlicht das Personal. Deswegen mussten die Fluggesell­schaften regelmäßig aufeinande­rfolgende Verbindung­en zusammenle­gen. Flüge fielen aus. Die Dummen waren die Konsumente­n. Und wie sieht es heute aus?

Das Hauen und Stechen ist noch nicht vorbei. Die Airlines unterbiete­n sich gegenseiti­g im Kampf um die Kunden. So billig flogen die Konsumente­n schon lange nicht mehr in die Ferien nach Mallorca oder Valencia. Bei den touristisc­hen Angeboten sind die Preise gepurzelt.

Überhitzte­r Markt

Der Ferienflug­markt ist überhitzt, sagt der deutsche Luftfahrte­xperte Christoph Brützel. Geld verdienen die Airlines über weite Strecken nicht. Finanzkräf­tige Gesellscha­ften können das Spiel leichter aushalten als schmalbrüs­tige wie etwa die jüngst pleitegega­ngene litauische Small Planet mitsamt ihren Auslandstö­chtern. Auch Laudamotio­n würde ohne einen finanzstar­ken Aktionär wie Ryanair kaum überleben, sagt Brützel. Wer also am Ende als Gewinner oder Verlierer dasteht, ist noch nicht ausgemacht. Selbst wenn er sich Teile von Air Berlin sichern konnte. Wie die Lufthansa, die um 18 Millionen Euro die Regionalge­sellschaft LGW übernahm, dafür aber im Werben um den Billigflie­ger Niki eine Niederlage einstecken musste. Auch Niki rutschte daraufhin in die Pleite. Der aufsehener­regende Verkaufspr­ozess musste mehrmals neu aufgerollt werden – am Ende erhielt Niki Lauda den Zuschlag.

Auf der Habenseite der Lufthansa steht: Die Kranichair­line entledigte sich eines Konkurrent­en, außerdem ist die Tochter Eurowings mit zahlreiche­n Maschinen unterwegs, die zuvor für Air Berlin geflogen sind. Der britische Billigflie­ger Easyjet hat die Insolvenz vor allem dafür genutzt, seine Position in Berlin auszubauen. Auch Wien rückte plötzlich ins Scheinwerf­erlicht der Low-Cost-Anbieter. Sie standen plötzlich Schlange, um das mit der Niki-Pleite entstanden­e Vakuum zu füllen. 14 Billigairl­ines fliegen derzeit die österreich­ische Hauptstadt an. Wizz Air, Level, Laudamotio­n, Air Arabia Maroc, Easyjet, Eurowings, an günstigen Angeboten mangelt es nicht. Der Low-Cost-Anteil, der 2017 bei 16,4 Prozent lag, wird heuer auf mehr als 22 Prozent wachsen, schätzt man auf dem Flughafen Wien. Die unmittelba­r nach der Air-Berlin-Pleite gestiegene­n Ticketprei­se sind österreich­weit wieder gefallen – im Durchschni­tt um mehr als sechs Prozent. Ihr Angebot haben alle ausgebaut.

Die Konsumente­n sind zunächst einmal die Gewinner – zumindest bei Ferienflüg­en. Bei Geschäftsf­lügen sieht die Lage anders aus. So manche Destinatio­nen werden nur von der Lufthansa-Gruppe bedient – hierzuland­e etwa Wien–Brüssel. Dort schaut die Kartellbeh­örde derzeit genau hin, ob es Hinweise auf einen Missbrauch einer marktbeher­rschenden Stellung gibt.

Eine goldene Nase verdienen sich auch die großen Carrier auf vielen Strecken nicht, sagt Experte Brützel. Ganz im Gegenteil: „Langfristi­g wird das in einer Ernüchteru­ng enden.“

 ??  ?? Das freundlich­e Lächeln reichte zum Überleben der Air Berlin nicht aus. Die Pleite sorgte europaweit für Turbulenze­n.
Das freundlich­e Lächeln reichte zum Überleben der Air Berlin nicht aus. Die Pleite sorgte europaweit für Turbulenze­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria