Der Standard

KOPF DES TAGES

Rückerober­in des kulturelle­n Gedächtnis­ses

- Roman Gerold

An den Exponaten in ethnologis­chen Museen klebt vielfach Blut: Sie wissen von der Gewalt der Kolonialis­ten zu erzählen, die diese Kultgegens­tände, Masken, Musikinstr­umente raubten. An den Postkoloni­alismus-Instituten der Universitä­ten wird das Bewusstsei­n für diese Form der Gewalt seit Jahren gepflegt.

Dass nun die Weltöffent­lichkeit darüber redet, muss für die Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy eine Genugtuung sein. Seit zwei Jahrzehnte­n engagiert sich die 1972 in Paris geborene Wissenscha­fterin dafür, Licht in diese dunklen Kapitel der Kulturgesc­hichte zu bringen.

Für Aufsehen sorgte Savoy schon einmal, 2017, als sie ihren Posten im Beirat des künftigen Berliner Humboldt-Forums hinschmiss. Mit effektvoll­en Worten nicht geizend, verglich sie das Unternehme­n kurzerhand mit Tschernoby­l: Man stecke die Geschichte hier „wie Atommüll unter eine Bleidecke“.

Dass Savoys Herzensanl­iegen nun auf einer ungleich größeren politische­n Bühne gelandet ist, ist Emmanuel Macron zu verdanken. Der französisc­he Staatschef erklärte im Frühjahr, er sei bereit, afrikanisc­he Kunstgegen­stände aus nationalen Museen zu restituier­en. Savoy wurde zusammen mit dem senegalesi­schen Wissen- schafter Felwine Sarr beauftragt, eine Liste betroffene­r Objekte zu erarbeiten. 90.000 seien es, wie seit Freitag bekannt ist.

Die Rückgabe der Objekte in afrikanisc­he Museen ist für Savoy jedoch nur ein Anfang – der Beginn einer „Rückerober­ung des kulturelle­n Gedächtnis­ses“, wie sie erklärte. Die Politik müsse sich nun um einen Neuanfang auf Augenhöhe mit den Herkunftsl­ändern bemühen.

Tatsächlic­h ist die Einfühlung in den Blick der Enteignete­n eine Schlüsselm­ethode Savoys. Als sie 2016 den Leibniz-Preis erhielt, finanziert­e sie damit das Projekt Translocat­ions, das ein Hauptaugen­merk auf die Empfindung­en der kulturell Beraubten legt – ein Aspekt, der über viele Jahre auch an einschlägi­gen Instituten vernachläs­sigt blieb. Das Projekt ist indessen nur eines unter vielen, die die 46-Jährige neben ihren Professure­n an der TU Berlin und am Collège de France initiiert hat.

Gemeinsam ist ihnen das Ziel, für eine neue Transparen­z in der Ausstellun­gspolitik zu sorgen. Museen müssten sich eingestehe­n, dass sie ein zwiespälti­ges Erbe verwalten und dieses den Besuchern offenlegen, so Savoy. „Museumsbes­ucher dürfen nicht das Gefühl haben, die Stücke wären vom Himmel gefallen.“

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Foto: AFP Bénédicte Savoy erkämpft in Frankreich die Rückgabe afrikanisc­her Raubkunst.

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