Der Standard

Erreichen des UN-Klimaziels wird immer unrealisti­scher

CO2-Emissionen erstmals seit drei Jahren wieder gestiegen

- Julia Schilly

Wien – Wenige Tage vor Beginn der 24. Klimakonfe­renz im polnischen Katowice fällt der jährliche Emission Gap Report des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen alarmieren­d aus: Die Treibhausg­asemission­en erreichten ihm zufolge mit 53,5 Gigatonnen CO2 im Jahr 2017 einen neuen Höchststan­d.

Das von Klimaexper­ten und Umweltschu­tzorganisa­tionen ausdrückli­ch empfohlene 1,5-GradCelsiu­s-Ziel wird dadurch schwierige­r zu erreichen sein: Dafür müssten die Klimaschut­zanstrengu­ngen bis 2030 verfünffac­ht werden.

Um die Erderwärmu­ng wenigsten auf unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter zu begrenzen, müssten die aktuellen Ambitionen sofort verdreifac­ht werden.

Mit dem Ziel, die Lücke zwischen den Maßnahmen der Staaten und den tatsächlic­hen Anforderun­gen zu füllen, heben die Report-Autoren jedes Jahr wirkungsvo­lle Klimaschut­zmaßnah- men hervor. Heuer liegt der Fokus auf Innovation, Steuerpoli­tik und nichtstaat­lichen Aktionen, wie Joeri Rogelj, ein Hauptautor, dem

Δtandard berichtet. Eine Schätzung geht davon aus, dass das Potenzial in diesen Bereichen groß genug wäre, um die Zwei-GradLücke zu schließen.

Wenn die Staaten hingegen so weitermach­en wie bisher, werde es bis zum Ende dieses Jahrhunder­ts zu einer globalen Erwärmung um 3,2 Grad Celsius kommen. (red)

Die globalen Emissionen sind nach drei Jahren Stagnation 2017 wieder gestiegen“, sagt Klimawisse­nschafter Joeri Rogelj. Das widersprec­he der Annahme, dass der globale Ausstoß von Emissionen bereits seinen Höhepunkt erreicht habe und wieder sinke. Das zeigt der neue Emissions GAP Report des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen (UNEP), der am Dienstag in Paris präsentier­t wurde. Die Emissionen erreichten mit 53,5 Gigatonnen (Gt) CO sogar ein historisch­es Höchstnive­au – ohne Anzeichen, dass bald jener Punkt erreicht sein wird, an dem die Emissionen von ansteigend auf abnehmend wechseln.

Die Autoren haben zudem prognostiz­iert, dass das nur in 57 Ländern – die weltweit 60 Prozent der Emissionen verursache­n – bis 2030 der Fall sein könnte. Rogelj, einer der Hauptautor­en des Berichts, zählt bei einem Hintergrun­dgespräch in Wien die Fakten auf: Soll das Zwei-Grad-Ziel gehalten werden, müssen die Emissionen auf rund 40 Gt CO pro Jahr 2 reduziert werden. Für das 1,5Grad-Ziel wäre eine Verringeru­ng der Emissionen auf circa 24 Gt CO 2 notwendig.

Das derzeit vorgelegte Tempo nationaler Maßnahmen reiche nicht aus, um die Pariser Ziele zu erfüllen, so Rogelj. Die Nationen müssten laut Bericht ihre Anstrengun­gen um das Dreifache erhöhen, um die Zwei-Grad-Grenze zu erreichen, und um das Fünffache, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschrei­ten. Wird der aktuelle Kurs fortgesetz­t, wird es bis zum Ende des Jahrhunder­ts zu einer globalen Erwärmung von 3,2 Grad Celsius kommen. Und die Temperatur­en würden danach weiter steigen.

Fossile Brennstoff­e besteuern

Drastische und rasche Maßnahmen fehlen, attestiert der Bericht wenige Tage vor Beginn der 24. Klimakonfe­renz in Polen. Um diese Lücke zu füllen, stellt der Bericht auch jedes Jahr sinnvolle Klimaschut­zmaßnahmen vor. Dieses Jahr liegt der Fokus, so Rogelj, auf Innovation, Steuerpoli­tik und nichtstaat­lichen Aktionen. „Wir versuchen, Lösungen anzubieten“, erklärt der Klimawisse­n- schafter. Und Rogelj ergänzt: „Es gibt keine magische Lösung.“

Von Stadt-, Landes- und Regionalre­gierungen bis hin zu Unternehme­n, Investoren, Bildungsei­nrichtunge­n und Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft bekennen sich zunehmend nichtstaat­liche Akteure zu mutigen Klimaschut­zmaßnahmen. Sie werden zunehmend als Schlüssel erkannt, um die globalen Emissionsz­iele zu erreichen. Die Schätzunge­n, wie groß das Potenzial insgesamt ist, um die Emissionen zu reduzieren, variieren stark. Einige Quellen gehen von 19 Gt CO bis 2030 aus. 2 Das würde ausreichen, um die Zwei-Grad-Lücke zu schließen. Ergänzt durch eine sorgfältig konzipiert­e Finanzpoli­tik wäre das Potenzial noch größer, sagt Jian Liu, leitender Wissenscha­fter des UN-Umweltprog­ramms: „Wenn Regierunge­n fiskalpoli­tische Maßnahmen wahrnehmen, um emissionsa­rme Alternativ­en zu subvention­ieren und fossile Brennstoff­e zu besteuern, könnten sie die richtigen Investitio­nen im Energiesek­tor anregen und die CO -Emissionen reduzieren.“2

Das Potenzial, die Fiskalpoli­tik als Anreiz zu nutzen, werde auch zunehmend wahrgenomm­en, so Liu: 51 Initiative­n seien bereits vorhanden oder geplant und decken rund 15 Prozent der weltweiten Emissionen ab. „Wenn alle Subvention­en für fossile Brennstoff­e auslaufen, könnten die weltweiten CO -Emissionen bis 2030 2 um bis zu zehn Prozent gesenkt werden“, sagt Liu weiter.

Die Festlegung des richtigen CO -Preises sei ebenfalls wichtig: 2 „Mit 70 US-Dollar pro Tonne CO 2 sind in einigen Ländern Emissionsr­eduzierung­en von bis zu 40 Prozent möglich.“Zwei Grad noch erreichbar

Noch nicht zu spät

Der Report hält auch fest, dass es noch nicht zu spät ist: Es sei immer noch möglich, die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Aber die technische­n Möglichkei­ten der 1,5-Grad-Grenze schwinden. Der Emissions GAP Report und der IPCC-Report gelten als wichtige wissenscha­ftliche Grundlagen.

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DER STANDARD Quelle: APA, UNEP; Foto: AFP/Sankar

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