Der Standard

Anna Witt prämiert

Performati­v, partizipat­iv und politisch: Anna Witt macht Kunst, die involviert, das Denken herausford­ert und uns erlaubt, in Utopien zu denken. Ein Porträt der Otto-Mauer-Preisträge­rin.

- Anne Katrin Feßler

Die in Wien lebende Künstlerin Anna Witt ist diesjährig­e Preisträge­rin des renommiert­en OttoMauer-Preises.

Nächste Woche fahr ich nach Toyota!“Außer dass dort Autos produziert werden, passiere dort nicht viel. Und dennoch – oder vielmehr gerade deshalb – ist es für Anna Witt „ein spannender Ort“. Die Künstlerin freut sich auf die bevorstehe­nde Rechercher­eise ins japanische Detroit, eine Stadt, die ohne den Kfz-Hersteller gar nicht funktionie­ren würde. Bevor es losgeht, muss sie allerdings noch die Einreichun­g für einen Wettbewerb in Berlin fertigmach­en und – keine Kleinigkei­t – heute den renommiert­en Otto-Mauer-Preis der Erzdiözese Wien entgegenne­hmen.

Die Lebensreal­ität mit gesellscha­ftlichen Idealen in Reibung zu setzen, sich vor dem Hintergrun­d von historisch­en Utopien mit dem zu beschäftig­en, „was schiefgela­ufen ist“, das interessie­rt die 37-Jährige nicht nur im fernen Japan, sondern ganz generell. Dort, wo die Gesellscha­ft brüchig wird, wo alte Konzepte – etwa der Erwerbsarb­eit, der Solidaritä­t, des Generation­envertrags und der Humanität – nicht mehr aufgehen, setzen ihre in Videos mündenden Performanc­es im öffentlich­en Raum an.

Fasziniere­nd sind die Settings, in denen Anna Witt die Reibung auseinande­rgedriftet­er Haltungen provoziert. So ließ sie 2016 in einer Shopping-Mall im Schweizer St. Gallen Mitglieder eines Debattierc­lubs der dortigen Eliteunive­rsität für Wirtschaft argumentie­ren – und zwar „gegen die Wahrheit“. Auf einer Promotionb­ühne, wo sonst Kreditkart­en an den Mann gebracht werden oder Lokalpolit­iker auf Stimmenfan­g gehen, ließ sie die Führungsel­iten von morgen eine Rede darüber halten, warum es die Wahrheit nicht braucht: „Das perfekte Training für später.“Anna Witt spielt in Suche nach dem letz

ten Grund mit völlig unterschie­dlichen Orten der Versprechu­ngen. „Die Idee der Wahrheit ist im Grunde total ambivalent. Mir gefiel die Vorstellun­g, mit Rhetorik einen Wettkampf zu gewinnen, wo es gar nicht um Überzeugun­g oder die Wahrheit geht.“Obendrein ist die Kunst der Rede, in der griechisch­en Antike eine angesehene Disziplin, spätestens seit ihrer Instrument­alisierung als Mittel politische­r Manipulati­on im Nationalso­zialismus in Ungnade gefallen. Wenn man sich heute in Rhetorik schult, redet man besser nicht darüber.

Die Wahrheit und das Postfaktis­che

Mehr Gewicht erhielt Witts Beschäftig­ung mit der Wahrheit aber, als Donald Trump US-Präsident wurde: Da war angesichts seiner „Fake-News“-Rufe plötzlich der Begriff des Postfaktis­chen virulent. So nah dran zu sein an Dingen, die die Tagespolit­ik umtreiben, sei keine Absicht. „Als Künstler reflektier­t man ja immer seine Zeit“, sagt Witt, die 2005 von der Münchner an die Wiener Akademie der bildenden Künste wechselte und bei Monika Bonvicini performati­ve Kunst und Bildhauere­i studierte. Die Performanc­e liegt der 1981 im bayrischen Wasserburg Geborenen. Womöglich habe das schon als Teenager angefangen: „Bei meinen Experiment­en bin ich völlig aufgeblüht.“Eines dieser Experiment­e bestand darin, sich auf dem Schulweg in den Schnee zu legen, als sei man tot.“Reagiert habe niemand. „Womöglich hat mich an der Schnellstr­aße niemand sehen können.“

Eigentlich wollte Witt Architekti­n werden. Aufgewachs­en in einer Familie von Architekte­n, lernte sie aber auch die ganze Bürokratie hinter dem Beruf kennen. Das hat ihn ihr verleidet. „Der klassische Sonntagssp­aziergang führte in eine Rohbausied­lung, um dort die Giebelneig­ung der Häuser zu diskutiere­n.“Die Fragen, die sie heute umtreiben, betreffen Hierarchie­n, Stereotype und Gerechtigk­eit. Universell­es, das sie versucht, in Momentaufn­ahmen abzubilden und auf das Individuum herunterzu­brechen. So forderte sie etwa Leute auf, radikal zu denken, und bekam wunderschö­ne Zukunftsut­opien serviert. „Die Kunst ist ein utopischer Raum, ein Parallelun­iversum, wo sich seismograf­isch messen lässt, wie groß die Freiheit in Wirklichke­it ist.“

Universell­es und Gehyptes

Vorhandene Blickwinke­l in der Gesellscha­ft zu ändern ist Anna Witt wichtiger, als absichtlic­h zu gehypten Themen wie Neoliberal­ismus, Gender oder Migration zu arbeiten. So hat sie auch ihre Arbeit Durch

Wände gehen (2015/2016) schon vor der großen Flüchtling­swelle begonnen. Darin organisier­te Witt eine Begegnung von zwei Flüchtling­en in Leipzig, einem jungen Syrer und einer Deutschen, die aus der ehemaligen DDR floh. Die seit 2015 Wellen schlagende Pegida-Bewegung wollte keiner der Beteiligte­n erwähnen, um dieser keine Stimme zu geben. Als Pegida allerdings beim Dreh vor dem Haus demonstrie­rte, war es schon allein akustisch nicht möglich, sie zu ignorieren.

Das Anrührende dieser Arbeit ist aber die überrasche­nde Umkehrung der Rollen: Irgendwann vertraute die ostdeutsch­e Frau ihre komplett verdrängte­n und auch in der Gesellscha­ft ganz allgemein nie aufgearbei­teten Fluchterle­bnisse dem Syrer an. Sie hoffte, er würde sie vielleicht eher verstehen. Aus dem Hilfesuche­nden wurde so eine Art Psychother­apeut. Dass Witt ihren Akteuren diesen Handlungsr­aum eröffnet, den sie selbst gestalten können, ist das Besondere an ihrem Werk. Manchmal führt das jedoch auch dazu, dass die Kollaborat­eure ihrer Filme flügge werden und die neue Mündigkeit gegen sie verwenden: „Das Schönste am Projekt Das Radikale

Empathiach­at (2018) über eine fiktive Jugendbewe­gung war, dass sie mich rausgeschm­issen haben. Anna, sagten sie, ich glaube, für unsere Bewegung bist du einfach zu alt.“ Die Preisträge­rausstellu­ng im Jesuitenfo­yer muss heuer wegen Umbauten entfallen. In der Konzilsged­ächtniskir­che Lainz findet aber ein Screening ausgewählt­er Videoarbei­ten statt: 18. 12. um 19.30 Uhr.

 ??  ?? Anna Witt: „Man ist sofort extrem angreifbar, wenn man Utopien ausspricht, weil sie naiv klingen. Es ist immer leichter, nur zu kritisiere­n.“
Anna Witt: „Man ist sofort extrem angreifbar, wenn man Utopien ausspricht, weil sie naiv klingen. Es ist immer leichter, nur zu kritisiere­n.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria