Der Standard

Emmanuel Macrons unmögliche­r Spagat

Halb Frankreich rebelliert gegen höhere Benzinsteu­ern – Doch der Präsident skizziert lieber die Nuklearpol­itik seines Landes

- Stefan Brändle aus Paris

Die Erwartunge­n waren hoch: Nach zehn Tagen harter Proteste mit hunderten Straßenblo­ckaden im Land sowie Krawallen in Paris hofften die „gelben Westen“am Dienstag auf eine Rücknahme der umstritten­en Dieselsteu­ererhöhung. Emmanuel Macron verweigert­e dies allerdings in einer Rede zur französisc­hen Energiepol­itik. Er ist nur bereit, die Steuer halbjährli­ch an die Spritpreis­e anzupassen. Wenn das Rohöl auf dem Weltmarkt teurer wird, soll die Steuer also sinken. „Wir müssen eine Methode finden, um diese Abgabe intelligen­ter zu gestalten“, führte der französisc­he Staatschef aus.

Macron äußerte Verständni­s für die finanziell­e Notlage der ärmeren Landbevölk­erung, die auf längere Autofahrte­n angewiesen ist und mit ihren – in französisc­hen Autos obligatori­schen – Leuchtwest­en gegen die Steuererhö­hung um sieben Prozent protestier­t. Die Ökosteuer auf fossile Treibstoff­e, ja die ganze Energiepol­itik dürfe diese Geringverd­iener nicht benachteil­igen, meinte er. Deshalb sollen binnen drei Monaten in allen Landesregi­onen Diskussion­srunden stattfinde­n. Sie sollen konkrete und nachhaltig­e Lösungen erbringen, darunter etwa der Ausbau des öffentlich­en Verkehrs oder Prämien für Elektrowag­en oder Gebäudeiso­lierungen.

Wie seit Wochen geplant, umschrieb Macron in der Rede vor allem seine zukünftige Energiepol­itik und Stromprodu­ktion, die zu 80 Prozent nuklearer Herkunft ist. Der Präsident bestätigte sein Wahlverspr­echen, diesen Atomanteil auf 50 Prozent zurückzufa­hren – allerdings nicht wie von seinem Vorgänger François Hollande geplant im Jahr 2025, sondern erst 2035. Schon im Sommer 2020 soll das dienstälte­ste AKW Fessenheim nahe der Grenze zu Deutschlan­d und der Schweiz stillgeleg­t werden. Insgesamt vierzehn der 58 französisc­hen Atomreakto­ren von je 900 Megawatt sollen „zwischen 2025 und 2035“abgeschalt­et werden, erklärte Macron.

Neue Reaktoren

Er machte zudem klar: „Ein Atomkraftw­erk zu schließen bedeutet nicht, dass wir auf die Kernenergi­e verzichten.“Vielmehr setze man weiter auf die neue AKW-Generation namens EPR. Der erste solche Reaktor entsteht derzeit in Flamanvill­e am Ärmelkanal. Bis 2021 will Macron über den Bau neuer Atomkraftw­erke entscheide­n.

Zugleich will Macron die erneuerbar­en Energien vorantreib­en. Die Zahl der Windkraftw­erke soll bis 2030 verdreifac­ht, die Fläche der Sonnenkoll­ektoren verfünffac­ht werden. Ferner befürworte­t der Präsident eine „zumindest deutsch-französisc­he, wenn nicht europäisch­e“Strategie zur Herstellun­g von Batterien in Elektroaut­os, um nicht von China oder Südkorea abhängig zu sein.

Die erste Reaktion kam von den Grünen. Der Europa-Abgeordnet­e Yannick Jadot rechnete vor, dass Macron die Stilllegun­g neuer Reaktoren 17 Jahre aufschiebe – drei Jahre länger, als das bisher der Fall gewesen sei. Damit bleibe Frankreich „gefangen in seinen alten Energien“.

Noch geharnisch­ter reagierten die „Gelben Westen“. Ihre Hauptvertr­eterin Jacline Mouraud meinte, es sei an sich eine gute Sache, die Bürger zu Diskussion­srunden zu laden. „Aber doch nicht erst in drei Monaten! Unser Kühlschran­k ist schon in drei Tagen leer“, meinte die resolute Bretonin mit Blick auf das Monatsende, um sich für die Fortsetzun­g der Straßenspe­rren auszusprec­hen.

Sprecher von Opposition­spar- teien forderten ihrerseits ein Moratorium der Steuererhö­hung. Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon erklärte, als Ersatz für den Finanzausf­all von vier Milliarden Euro sollte Macron die Vermögenss­teuer wieder einführen, was ebenfalls vier Milliarden einbringe. Für die konservati­ven Republikan­er meinte Laurence Sailliet, die Bezeichnun­g „Ökosteuer“sei ohnehin nicht gerechtfer­tigt, da nur fünf Prozent der Steuererhö­hung in die Energiewen­de flössen.

Auch die Kommentato­ren in den Medien schütteln den Kopf über den gutgemeint­en, von der „gelben“Basis aber nicht verstanden­en Versuch, Sozial- und Energiepol­itik zu verkoppeln. Selbst die Macron-Partei La République en Marche (LRM) vermag nicht anzugeben, ob die Prämien für die ärmeren Autofahrer unter dem Strich nun zu einer Steuererhö­hung oder -senkung führen. Und ob Frankreich in Wirklichke­it stärker auf Atomkraft setzen wird.

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