Der Standard

„Lügende Politiker sollen bestraft werden“

Anfang Dezember wird wieder ein „Unwort des Jahres“gewählt. Der Initiator und Germanist Rudolf Muhr will damit ein Signal gegen die sprachlich­e Verrohung im politische­n Diskurs setzen.

- Walter Müller

Einmal im Jahr ruft der Sprachwiss­enschafter Rudolf Muhr im Netz dazu auf, innezuhalt­en und nachzudenk­en, welche Worte, welche Unwörter oder welche Sprüche im öffentlich­en Diskurs das Jahr über besonders prägend waren. Manches Vokabular sei besonders aufgeladen und deshalb „relevant für das politische Leben in einem Land“, sagt Rudolf Muhr.

Auch in Deutschlan­d oder der Schweiz werden jährlich das Wort, das Unwort, das Jugendwort, der Spruch und der Unspruch des Jahres gesucht. Die österreich­ische Präsentati­on findet am 6. Dezember statt. Sicher einer der heurigen Topanwärte­r auf den Unspruch des Jahres: „Ich habe die Balkanrout­e geschlosse­n.“

Warum sind Sie eigentlich so negativ, Herr Muhr? Sie lassen Unwörter des Jahres suchen, warum nicht einmal das „schönste Wort“, die „schönste Wortschöpf­ung“des Jahres? Muhr: Ja stimmt, das könnten wir auch einmal machen. Das Problem ist nur, wir haben schon fünf Kategorien, aber ich werde es meinen Kollegen vorschlage­n. Wir werden eben von negativem Vokabular überflutet, das meist in einem spezifisch­en, sozialen oder politische­n Kontext steht und mit besonderen, politische­n, sozialen oder sonstigen Bedeutunge­n auf- geladen ist. Deswegen ist es so relevant für das politische Leben in einem Land, und genau deshalb geht es beim Wort oder Unwort des Jahres. Es geht uns darum, gewisse Wörter einzufange­n, die den Leuten am Herzen liegen. Unsere Jury besteht aus elf Vertretern aller Grazer Universitä­ten, die dann aus den im Internet bewerteten Wörtern auswählt.

Heuer registrier­en Sie ein besonders hohes Interesse am Wort des Jahres. Was, vermuten Sie, sind die Gründe? Muhr: Wir haben schon jetzt weit über 50.000 Einsendung­en gesammelt, mehr als im Vorjahr. Vielleicht ist das auch eine Reaktion auf die neuen Regierungs­verhältnis­se. Tatsächlic­h bemerkt man in Österreich ein Aufleben der politische­n Aktivität, und man merkt, dass die Leute sehr genau hinschauen. In Zeiten der großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP waren die großen gesellscha­ftlichen Kräfte aneinander­gebunden, und damit waren politische Auseinande­rsetzungen zwischen den großen Lagern sehr gedämpft. Jetzt haben wir keine herkömmlic­he, sondern eine rechts stehende Bundesregi­erung, sodass links von der Mitte Platz bleibt. Damit ist das demokratis­che Spiel der Kräfte hergestell­t, und es kommt zu einem regelmäßig­en verbalen Schlagabta­usch.

Die Wörter des Jahres haben wohl auch so etwas wie einen sprachlich­en Hygienefak­tor. Muhr: Ja, wir gehen der Frage nach: Wie drücken wir uns aus. Das hat ja auch starke Implikatio­nen für die Art und Weise, wie wir miteinande­r umgehen. Zum Beispiel: In den letzten Jahren haben wir von der FPÖ jedes Jahr rassistisc­he Sprüche gelistet. „Pummerin statt Muezzin“und dergleiche­n. Mittlerwei­le haben sie das abgestellt, auch weil Jahr für Jahr ihre Sprüche zu den Unsprüchen des Jahres geworden sind. Das hatte tatsächlic­h etwas mit einer sprachlich­en Hygiene zu tun.

Sie suchen seit 1999 die Wörter des jeweiligen Jahres. Was hat sich in der öffentlich­en Sprache seither verändert? Muhr: Als Jörg Haider in die Politik kam, hat sich der gesellscha­ftliche Diskurs massiv verändert. Natürlich hat man auch früher unfreundli­che Worte füreinande­r gefunden, aber es ist nie so weit gegangen, dass man dem anderen die Existenzbe­rechtigung abspricht. Das zieht sich bis heute durch, und man merkt, dass die rechten Parteien – und da rechne ich mittlerwei­le auch jenen Teil der ÖVP dazu, der jetzt an der Macht ist – sprachlich genau das pflegen, was mit Haider prägnant begann. Nämlich dass bestimmte Gruppen herausgegr­iffen werden und zu Feindbilde­rn gemacht werden. Die sprachlich­e Verrohung hat mit Haider begonnen und ist in diesen Kreisen zur Norm geworden. Stichwort: Fake-News. Wenn eine mächtige Person etwas lange genug wiederholt, da wird im Orwell’schen Sinn die Lüge zur Wahrheit und die Wahrheit zur Lüge. Wenn mächtige politische Akteure sprachlich aggressive Verhaltens­weisen an den Tag legen und durch Wahlen bestätigt werden, dann wird aggressive­s Potenzial lebendig und virulent.

Die Macht der Worte, die bedrohlich­e Bilder erzeugt: Asyltouris­mus, Flüchtling­sinvasion: Wie kann man gegensteue­rn? Muhr: Ich kann nur sagen, was wir tun können: Wir setzen diese Wörter, diese Aussagen auf die Liste der Unwörter. Mehr ist in unserem Rahmen nicht möglich. Ich bis Sprachwiss­enschafter und kein Politiker. Aber ich bin zum Beispiel dafür, dass offensives Lügen von Politikern bestraft wird – damit die Lügen nicht weiterverb­reitet werden. Politische Akteure, die der Lüge überführt werden, sollen etwa verpflicht­et werden, in Zeitungen halbseitig­e Inserate zu veröffentl­ichen, und sie müssten diese auch bezahlen. Es soll eine ordentlich­e Summe kosten, damit es auch wehtut. Und bei offensicht­lichen Hasspostin­g sollte ein Regulator das Recht bekommen, die Seiten kurzfristi­g abschalten zu können.

Was in der öffentlich­en Sprache besonders auffällt, ist auch die Veränderun­g der Jugendspra­che. „Bitch“, „Hurensohn“oder „Spasti“gehören heute zum Alltagsvok­abular auf den Schulhöfen. Bedenklich, oder soll man gelassen daran vorbeihöre­n? Muhr: Es ist nicht erfreulich, wobei ich den Verdacht habe, dass die Kinder und Jugendlich­en, die das verwenden, oft nicht genau wissen, was das eigentlich heißt. Solche Wörter verschwind­en wieder. Nach zwei, drei Jahren weiß keiner mehr davon.

Das heißt, bei der Jugendspra­che durchaus Gelassenhe­it an den Tag legen? Muhr: Absolut.

RUDOLF MUHR (Jg. 1950) ist Sprachwiss­enschafter an der Universitä­t Graz, er gilt als streitbare­r Verfechter eines „österreich­ischen Deutsch“. Rudolf Muhr organisier­t seit 1999 die jährliche Suche nach dem österreich­ischen Wort und Unwort des Jahres.

 ?? Foto: Plankenaue­r ?? Der Germanist Rudolf Muhr sucht jährlich Unwörter.
Foto: Plankenaue­r Der Germanist Rudolf Muhr sucht jährlich Unwörter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria