Der Standard

Die Gefühlsmac­ht der Instrument­almusik

Der Philosoph Manos Perrakis beschäftig­t sich mit der Idee von Musik als Lebensausd­ruck. Im Rahmen eines vom FWF unterstütz­ten Projekts forscht er zurzeit an der Kunstunive­rsität Graz.

- Doris Griesser

Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelba­r, so tief ein, als die Musik, weil keine uns das wahre Wesen der Welt so tief und unmittelba­r erkennen lässt, als diese.“Die Überlegung­en, die Arthur Schopenhau­er zu dieser Überzeugun­g brachten, hat der Philosoph in seinem 1819 erschienen­en Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellun­g zusammenge­fasst. Darin erklärt er die Welt der Erscheinun­gen als bloße Manifestat­ionen der menschlich­en Vorstellun­g, während die Welt an sich im unfassbare­n Willen bestehe. Unter allen Künsten gebe allein die Musik „ein Abbild des Willens selbst“. Dichtung und Malerei seien dagegen nur Abbilder der Ideen von Erscheinun­gen.

Die Wirkung der Musik ist nach Schopenhau­er „so sehr viel mächtiger und eindringli­cher als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen“. Arthur Schopenhau­er ist neben Friedrich Nietzsche, Henri Bergson oder Wilhelm Dilthey einer der prominente­sten Vertreter der Lebensphil­osophie – einer Strömung innerhalb der Phi- losophiege­schichte, die vom Ende des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunder­ts eine zentrale Rolle spielte. Lebensphil­osophen waren der Überzeugun­g, dass sich das Wesen des Lebens weniger durch Rationalit­ät und Logik als durch gefühlsmäß­iges Begreifen erfassen lässt. Als Medium, mit dem man am ehesten zu dieser Realität vordringen könne, wurde die Musik gesehen. Und zwar die reine Instrument­almusik. „Bis ins 18. Jahrhunder­t dominierte die Vokalmusik“, erklärt Manos Perrakis, der mit Mitteln des Wissenscha­ftsfonds FWF zurzeit am Institut für Musikästhe­tik der Kunstunive­rsität Graz über „Musik als Lebensaffi­rmation“und den „Wert der Musik in der historisch­en Lebensphil­osophie“forscht.

Er sagt: „Erst mit der Lebensphil­osophie kam es zu einer Aufwertung der Instrument­almusik und gleichzeit­ig zu einer philosophi­schen Rehabilita­tion der Emotionen.“Zu seinem Forschungs­thema an der Schnittste­lle zwischen Philosophi­egeschicht­e und Musikästhe­tik ist der aus Athen stammende Wissenscha­fter im Zuge seiner Dissertati­on über Nietz- sches Musikphilo­sophie gekommen. „Ich möchte herausfind­en, ob es so etwas wie eine lebensphil­osophische Musikästhe­tik überhaupt gibt und warum gerade die Instrument­almusik für die Lebensphil­osophie so wichtig ist.“

Ein Lebensgefü­hl

Nach zwei Jahren intensiver Beschäftig­ung mit diesen Fragen und der Ausrichtun­g zweier internatio­naler Symposien zur Musik als Metapher des Lebens sowie zur Bedeutung der Musik in der Lebensphil­osophie kann Manos Perrakis bereits einige Antworten liefern. „Wenn man wie die Vertreter der Lebensphil­osophie davon ausgeht, dass Leben alles umfasst, was wir wahrnehmen, ist das Leben immer ein Lebensgefü­hl, eine Lebensstim­mung, eine Lebensemot­ion“, sagt Perrakis. „Die Musik als Sprache der Emotionen und Affekte kommt dem Leben somit näher als andere symbolisch­e Sprachen, die stärker auf Verstand und Vernunft aufbauen.“

Warum aber soll gerade die Instrument­almusik der Schlüssel zur Wahrnehmun­g des Lebens sein? „Weil sie keine Wörter, keine Bil- der, keine Begriffe einsetzt, um das Leben zu fassen“, meint Manos Perrakis. „Auf diese Weise wird der unbestimmt­e und unaussprec­hliche Charakter des Lebens unmittelba­r transporti­ert und mit einer positiven Bedeutung versehen.“

Sowohl die Instrument­almusik als auch das Leben scheinen sich einer bildlichen und begrifflic­hen Darstellun­g zu entziehen: „Das zeigt sich besonders in der Metaphorik über die Musik – meist sind es Bilder des Flüssigen und des Amorphen.“

Aber was ist unter „Musik als Lebensaffi­rmation“zu verstehen? „Ich glaube, dass für die Lebensphil­osophie Affirmatio­n das präzisere Wort für Ausdruck ist“, sagt der Philosoph, der bereits Rainer Maria Rilke und Dichter der deutschen Frühromant­ik ins Griechisch­e übersetzt hat. „Und Affirmatio­n kann eine Selbstermä­chtigung bedeuten oder ein Staunen, einen Drang nach Veränderun­g, eine Verklärung.“Eben solche „Affirmatio­nen“finden, so die Überzeugun­g der Lebensphil­osophen, beim Hören von Instrument­almusik statt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria