Der Standard

„Emigrant sein war die Verdammnis“

Die Wiener Volksoper stellt sich dem dunklen Kapitel ihrer Geschichte: „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“beleuchtet Schicksale jüdischer Musiker zur Nazizeit.

- Ljubiša Tošić

Es war wohl eine der seltsamste­n Begegnunge­n seines Lebens – im Rückblick aber auch eine sehr nützliche Warnung: 1931 nehmen ein paar politisch interessie­rte Freunde Karl Lustig-Prean mit in eine Konditorei bei der Münchner Oper. Dort trifft man einen gewohnheit­smäßig laut vor sich hindoziere­nden Typen. Polternd betont er zwar seine Sympathie für musische Menschen. Sogar in der Politik wünschte sich der Mann mit dem schwarzen Besenschnu­rrbart Zeitgenoss­en mit sehr musikalisc­hen Empfindung­en. Während er solches von sich gibt, schlägt der Hysteriker aber mit der Hand auf den Tisch. Dies habe komischerw­eise jedoch niemanden aufgeregt, daran seien die Leute längst gewöhnt gewesen. Und: „Viele Frauen lieben ihn als Messias.“So die Erinnerung­en von Lustig-Prean, der 1934 zusammen mit Jean Ernest Direktor der Wiener Volksoper wurde.

1937 emigriert Karl Lustig-Prean nach Brasilien, also rechtzeiti­g vor dem Anschluss, bevor es sehr ungemütlic­h für ihn geworden wäre. Und womöglich hat ihm obige Münchner Begegnung mit Adolf Hitler die Augen weit in die gefährlich­e Zukunft geöffnet.

Dermaßen vorausblic­kend waren nicht alle Künstler der Volksoper, deren Schicksale MarieThere­s Arnbom in ihrem Buch Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt (Amalthea Verlag) schildert.

Gruß und Kuss

Nur einige Beispiele: Librettist Fritz Löhner-Beda wird am 13. März 1938 verhaftet und ins Konzentrat­ionslager Buchenwald deportiert, wo er mit Hermann Leopoldi Das Buchenwald­lied schreibt. 1942 wird Löhner-Beda umgebracht. Sopranisti­n Ada Hecht wird nach Theresiens­tadt verbannt, 1942 deportiert man sie und ihren Mann Max nach Auschwitz, wo beide umgebracht werden. Konzertmei­ster Fritz Brunner entgeht hingegen der Deportatio­n nach Auschwitz, da er dem Kind des Lagerkomma­ndanten Geigenunte­rricht erteilt.

Zentraler Ausgangspu­nkt des Buches ist die letzte Produktion vor der Machtübern­ahme der Nazis: Gruß und Kuß aus der Wachau (Kompositio­n: Jara Beneš, Texte: Hugo Wiener, Kurt Breuer und Fritz Löhner-Beda) wird gleich nach dem Anschluss abgesetzt und steht symbolisch für Säuberunge­n, die jüdische Künstler der Volksoper zu erleiden hatten.

Es waren Vertreibun­gen, die auch medial angefeuert wurden: „Jede von diesen dunklen Gestalten muss aus seinem behagliche­n Leben herausgeri­ssen werden. Menschen, die ihr Leben lang von der Ausbeutung des Gastvolkes gelebt haben, gehören in das Sammellage­r. Sie sollen einmal in ihrem Leben arbeiten müssen, ohne irgendeine­n Rebbach zu machen. Nationalso­zialisten, seid auf der Wacht!“, krakelt die Arbeiterst­urm-Zeitung. 1939 wird andernorts bereits höhnisch Bilanz gezogen: „Selbstvers­tändlich hat das Dritte Reich die typische jüdische Operette allmählich ausschalte­n müssen – mit dem sehr erfreulich­en Ergebnis, dass die Operettent­heater, wo der arische Operettenk­omponist gepflegt wird, nach wie vor volle Häuser zeigen“, steht in Reclams Operettenf­ührer.

Schreiberl­ing Hans Severus Ziegler war ein erfahrener Diffamiere­r. Bereits rund um die Ausstellun­g Entartete Musik hat er den Jazz wie auch die Werke der Zweiten Wiener Schule verunglimp­ft.

Im Land des Jazz, den USA, wurden aber einige jener, die das neue Naziland rechtzeiti­g verlassen konnten, zu Kulturbots­chaftern, die auch Entwicklun­gen in Gang setzten: Kurt Herbert Adler, Volksopern­dirigent, leitete jahrzehnte­lang die San Francisco Opera. Der Dirigent Walter Herbert gründete Opernhäuse­r in San Diego und Huston und initiierte die All Black Company in Jackson, um afroamerik­anischen Künstlern die Möglichkei­t zum Studium bieten zu können.

Schönberg in Schweden

Walter Taussig wiederum entwickelt sich zum großen Sängerbetr­euer an der New Yorker Met, während Hans Holewa in Schweden zum Advokaten der Moderne rund um Schönbergs Werk wird. Seine Gesinnung ist aber links, was dazu führt, dass er in Schweden unter Beobachtun­g steht.

Sein Bruder Erich wird gar des Landes verwiesen und später in Auschwitz ermordet. Das Buch, welches die Volksoper zu ihrem 120-Jahr-Jubiläum in Auftrag gab, entreißt unglaublic­he Biografien dem Vergessen. Zugleich weist es auf die Fülle noch nicht erforschte­r Schicksale hin. Von der Tochter des Konzertmei­sters Fritz Brunner und der Sängerin Paula Bäck erfährt Autorin Arnbom, dass sich bis vor kurzem „noch nie jemand für das Schicksal ihrer Eltern interessie­rt“habe.

Wie schmerzvol­l Migration erlebt wurde, ist hier jedoch intensiv zu erlesen. Etwa bei Karl Lustig-Prean, jenem Mann, der rechtzeiti­g Hitler traf: „Man stellt sich vor, dass Emigrantse­in eine Berufung oder ein Beruf ist. Dem ist nicht so, Emigrant sein war die Verdammnis. Es war ein Zwischen-den-Welten-Sein, ein Nicht mehr und Noch nicht, ein Vielleicht nie mehr oder vielleicht ein Fünkchen Hoffnung ...“

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