Der Standard

Politik per Reptilienh­irn

Populistis­che Politik kennt, wie die kaltblütig­en Echsen, kein Mitgefühl. Im permanente­n Alarmzusta­nd ist Mitmenschl­ichkeit chancenlos. Selbst kluge, rationale Lösungen werden von der Angstmache übertönt.

- Othmar Hill

Während das Großhirn darauf spezialisi­ert ist, rational zu denken, intuitiv zu entscheide­n und kreative Leistungen zu erbringen, sind die limbischen Zwischenhi­rnteile für die Gefühlswel­t zuständig: Mitleid, Zorn, Liebe, Wut, Ärger entstehen durch die Bündelung von langen Nervensträ­ngen. Bei Tieren ist im Querschnit­t zu erkennen, dass die Gefühlsebe­ne noch viel stärker ausgeprägt ist als der noch schmale Streifen des Großhirns. Hunde und Katzen sind also viel gefühlsbet­onter und wenig rational. Das ist der Grund, warum Waldi und Mieze von den einsamen, alten Herrln und Frauerln so sehr geliebt werden: Sie erwidern intensiv unsere Gefühle.

Das Stammhirn besitzt seit Urzeiten die Funktion des „Notstromag­gregats“. Bei einem Unfall übernimmt es ansatzlos diese Funktion. Dieser Einheit geht es ausschließ­lich um Überlebens­sicherung. Das Reptil in uns wittert jede Bedrohung – ob real oder nicht – und ist dazu da, den Organismus um jeden Preis zu schützen und zu sichern. Einmal alarmiert, kennt es kein Pardon, nimmt auf die anderen Hirnteile keine Rücksicht, weil das die eigene Funktion gefährdet.

Populistis­che, ideologisc­h fanatische, religiös fundamenta­listische, nationalis­tische, extremisti­sche Parteien spielen die Rolle dieses Hirnteils. Sie müssen taktisch angriffig, heimtückis­ch und fluchtbere­it sein, um Sicherheit zu gewährleis­ten. Ähnlich kaltblütig wie Echsen kennen sie kein Mitgefühl, sondern primär Eigeninter­esse zur Erhaltung der Art.

Angst und Alarmismus

Die älteren Hirnstrukt­uren sind den jüngeren hierarchis­ch weit und immer überlegen. Auch wenn ihre Logik nur eine binäre ist: Schwarz/Weiß, Gut/Böse, Freund/ Feind. Das limbische System der Mitmenschl­ichkeit hat keine Chance, im Alarmzusta­nd zur Geltung zu kommen. Die Sozialdemo­kratie hat es in Angstzeite­n schwer. Und die konservati­ve Politik denkt. Sie bietet vielleicht sehr kluge, rationale Lösungen an, aber sie werden von den schrillen Alarmglock­en der Angstmache übertönt. Auch wenn die wahre Bedrohung längst vorbei ist, liegt die Echse auf der Lauer und bleibt auf Sicherheit­sstufe Rot.

Wann erlahmt die Kraft des „Alarmismus“? Wenn er lächerlich gemacht wird. Kabarett, Witze und Karikature­n sind unerträgli­ch für die Verbohrten! Sofort drohen sie mit Kampfrheto­rik von Lügen über Betrügen (Stichwort Fake-News), eisernen Schutzmaßn­ahmen („law and order“) oder Kriegsgesc­hrei. Der Mechanismu­s klinkt im fernen Pakistan per Blasphemie­gesetz ebenso ein wie im Europa der Flüchtling­swelle oder in den USA beim Auftauchen von ein paar Tausend Mittelamer­ikanern an der Grenze: Schießbefe­hl, Todesstraf­e!

Warum Donald Trump in den USA so erfolgreic­h ist, erklärt diese Theorie: Er bedient die beiden Hemisphäre­n des polarisier­enden, hemmungslo­sen Reptils ebenso wie das simple, rationale Heilsversp­rechen, durch Business-Techniken reich und mächtig zu machen: America great again! Und so trampelt er als eine Art Tyrannosau­rus rex umher, während Demokraten und aufgeklärt­e Medien in Angsthypno­se dieses Wahn- sinnsspekt­akel wie die Karnickel vor der Schlange beäugen.

Und in Österreich? Da wird am 8. 11. eine Tschetsche­nen-Familie abgeschobe­n mit einem schwerkran­ken Sohn, der in Russland und Tschetsche­nien achtmal operiert und verpfuscht wurde, einen Seitenausg­ang und jahrelang Windeln tragen musste, mit seinen zehn Jahren durch die Operatione­n schwer traumatisi­ert wurde und deswegen psychother­apeutische Betreuung braucht. Sein Vater wagte es in der Russischen Föderation, den Gesundheit­sombudsman­n anzurufen, was ihm die polizeilic­he Drohung einbrachte, ins Gefängnis zu kommen. Wenn das nun passiert, katapultie­rt das die Mutter mit dem kranken Buben und ihren zwei Töchtern in eine ausweglose Situation.

Namen der Verantwort­lichen und Richter, die solche Urteile, die einem Todeskomma­ndo gleichkomm­en, fällen, sollten aufgeliste­t werden von einem Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es! Damit man sich später an sie erinnert, wenn dieser Neofaschis­musanfall vorbei ist.

Österreich­ischer Albtraum

Die Abschiebun­g spielte sich innerhalb von 24 Stunden ab: Ablehnungs­bescheid, zwei Stunden später Anruf der Polizei beim Anwalt, wo „die“denn seien, um 23 Uhr stand der Polizeiein­satzwagen mit seinen Schergen im Hof des Flüchtling­squartiers, und am nächsten Tag um zwölf Uhr war die Familie im Flieger nach Moskau. Ein österreich­ischer Albtraum im Jahr 2018! Ganz ohne humanitäre­s Bleiberech­t. Der Innenminis­ter sollte bekanntgeb­en, was seine Menschenre­chtsexpert­en unternehme­n, um herauszufi­nden, wie es Abgeschobe­nen in der alten „Schubheima­t“ergeht und ergangen ist!

Der Spuk der populistis­chen „Alarmismus­politik“wird erst vorbei sein, wenn die Zivilgesel­lschaft den Angstmache­rn das Wasser abgegraben hat. Und das kann bei der Weltlage dauern.

OTHMAR HILL (70) ist Wirtschaft­spsycholog­e, Management­begleiter und lebt in Wien.

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Ein satter, wachsamer Grüner Leguan während der Mittagsruh­e.
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Foto: Hill Othmar Hill: Populistis­che „Alarmismus­politik“.

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