Der Standard

Automatism­us der „besten Köpfe“

Das Rennen um den nächsten österreich­ischen EU-Kommissar scheint bereits vor der Europawahl gelaufen. Warum eigentlich?

- Stefan Brocza

Keine 48 Stunden nachdem Christian Kern seine (zwischenze­itlich wieder abgesagte) Kandidatur für das Europaparl­ament verkündet hatte, machte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz die möglichen Karrierech­ancen auf EU-Ebene gleich wieder zunichte. Er verkündete lapidar, dass, soweit es Österreich­s Sessel in der Kommission anbelangt, dieser unabhängig vom Ergebnis der EU-Wahl im kommenden Jahr von der Bundesregi­erung besetzt werden wird. „Und da hat die österreich­ische Volksparte­i ein Vorschlags­recht.“

Artikel 23c der Bundesverf­assung bestimmt tatsächlic­h, dass die Erstellung des österreich­ischen Vorschlags für die Ernen- nung eines Mitglieds der Europäisch­en Kommission der Bundesregi­erung obliegt. Vor der Erstellung dieses Vorschlags hat die Bundesregi­erung dem Nationalra­t und dem Bundespräs­identen mitzuteile­n, wen sie vorzuschla­gen beabsichti­gt. Die Bundesregi­erung hat über die Vorschläge zudem das Einvernehm­en mit dem Hauptaussc­huss des Nationalra­tes herzustell­en. Von der ÖVP steht dabei nichts in der Bundesverf­assung.

Tatsächlic­h hat „seine“Partei seit dem EU-Beitritt 1995 noch jeden österreich­ischen Kommissar gestellt. Egal ob sie nun Erster oder Zweiter bei den Wahlen zum Europaparl­ament war oder auch Erster, Zweiter und gar Dritter bei den einzelnen Nationalra­tswahlen. ÖVP-Generalsek­retär Karl Nehammer hat dies jüngst damit zu erklären versucht, dass „wir in Europa die besten Köpfe brauchen“. Warum diese ausschließ­lich in der ÖVP beheimatet sein sollen, kann aber selbst er nicht wirklich erklären.

Nun ist es wohl klar, dass der Posten in der EU-Kommission Teil der jeweiligen Nebenabspr­achen bei den Regierungs­bildungen ist. Und da hat die ÖVP sich eben bisher offensicht­lich immer durchgeset­zt. Politisch daraus eine Art Automatism­us abzuleiten ist aber mehr als unverfrore­n. Selbst der Kommentar von FPÖChef Heinz-Christian Strache im Mai bei der Festverans­taltung der Bundesregi­erung zum Europatag wirkt da eher resigniere­nd: „Wir haben eine kaiserlich­e Erbpacht bei der ÖVP: Jeder Kommissar kommt aus der ÖVP.“Warum aber nun sogar der derzeitige FPÖDelegat­ionsleiter im Europaparl­ament (und gleichzeit­ige FPÖ-Generalsek­retär) Harald Vilimsky quasi im vorauseile­nden Gehorsam gegenüber Kurz verlauten lässt, er wolle selbst dann nicht den Anspruch auf den Posten erheben, wenn diese stimmenstä­rkste Partei bei der österreich­ischen Europawahl im Mai werde, ist mehr als verwunderl­ich.

Selbst wenn die FPÖ das europaweit­e Prinzip Spitzenkan­didatenmod­ell als „Schimäre“abtut: Warum sollte nicht zumindest in Österreich eine klare politische Ansage erfolgen? Was wäre wirklich so schlimm daran, dass die Partei, die die Wahl gewinnt, auch den Kandidaten für die EU-Kommission vorschlägt? Damit würde man der kommenden Europawahl eine klare politische Bedeutung zumessen, und die Wähler und Wählerinne­n wüssten, worum es geht. Endlich könnten sie „direkt“entscheide­n, wer die nächsten Jahre für Österreich in der Kommission sitzt. Die Entscheidu­ng würde aus den politische­n Hinterzimm­ern ins Rampenlich­t der Öffentlich­keit gebracht. Was hat die FPÖ eigentlich gegen eine solche demokratis­che Entscheidu­ng?

STEFAN BROCZA ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

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Foto: privat Stefan Brocza: Verwunderl­icher Gehorsam der FPÖ.

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