Snowden-Anwalt Tibbo im Visier der Behörden
Robert Tibbo tritt mit einem Hilferuf an die Medien. Seit Snowden sein Mandant ist, hat er gravierende Probleme mit den Behörden. Was Tibbo seit 2016 passiert, sei alarmierend, warnen Rechtsexperten.
Für Robert Tibbo gibt es ein Leben vor und eines nach Edward Snowden. Seit Ende der 1990er-Jahre lebte der Kanadier als erfolgreicher Anwalt in Hongkong. Seine Karriere als Advokat der Hochfinanz endete, als er im Juni 2013 einen Anruf erhielt mit der Bitte, den NSA-Whistleblower als Mandanten zu übernehmen.
Statt im Penthouse in Hongkong sitzt Tibbo heute in einem schmucklosen Häuschen irgendwo in Europa. Seinen Aufenthaltsort kennen nur Eingeweihte. Kontakt zur Außenwelt hält er über Laptop und Mobiltelefone, die ohne SIM-Karte auskommen. Wenn Tibbo über seinen Fall spricht, wandern die Handys ins Gefrierfach. Niemand soll mithören. Er wurde zum Gejagten, von Tibbo nähere Auskünfte zu seiner Tätigkeit für den Whistleblower. „Irritierend“nennt Paradis dieses Vorgehen: „Schließlich ist das Verhältnis zwischen Anwalt und Klient vertraulich.“
Noch deutlicher wird der kanadische Anwalt James Cameron, der selbst jahrelang hochrangiges Mitglied der Bar in Quebec war und Tibbos Fall kennt: „Als Vorsitzender einer Bar würde ich eine solche anonyme Beschwerde sofort in den Müll werfen.“Es sei schwer zu glauben, dass dahinter kein politisches Kalkül stecke, sagt Cameron: „Das sind einfach zu viele Zufälle.“
Denn nicht nur die Bar agiert seither gegen Tibbo. So wurden die Fälle der sieben sogenannten Snowden-Flüchtlinge, die den Whistleblower versteckt hatten und denen seither jegliche Form der staatlichen Unterstützung gestrichen wurde, seitdem so behandelt, als gehörten sie zusammen. Dabei ist die einzige Gemeinsam- wirkt ständig nervös und ist notorisch misstrauisch. Nun hat er sich an Medien wie die New York Times, Paris Match und den
Δtandard gewandt, um auf seine Lage aufmerksam zu machen.
Grund für Tibbos Ausnahmezustand ist die Vielzahl vermeintlicher Zufälle, die sich seit 2016 zu seinem Nachteil ereignet haben. Man wolle ihn „beruflich und privat vernichten“, ist er überzeugt. Er vermutet die Behörden Hongkongs hinter der konzertierten Racheaktion, „vielleicht auch noch andere Regierungen, aber das ist nur sehr schwer zu beweisen“. Grund dafür sei seine Tätigkeit für Snowden.
Beobachter wie der kanadische Anwalt Pascal Paradis von der NGO Lawyers Wit- keit, Tibbo als Anwalt zu haben. Ebenfalls zeitgleich überschüttete man ihn quasi mit Arbeit und forderte ihn auf, mehr als 40 seiner Fälle, die jahrelang durch Bürokratie verschleppt worden waren, umgehend zu bearbeiten. Nur um kurz darauf neue Beschwerden gegen ihn bei der Bar vorzubringen, dass er ebendiese Fälle nicht zeitgerecht bearbeiten würde.
Parallel dazu versuchten Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde seinen Mandanten weiszumachen, dass Tibbo sich nicht um sie kümmern würde. Für Paradis mit der absurdeste Vorwurf: „Das Verhältnis zwischen Tibbo und seinen Mandanten ist außergewöhnlich eng und vertrauensvoll.“In zahllosen Gesprächen mit Flüchtlingen, die Tibbo vertritt, sei nicht eine Beschwerde vorgebracht worden: „Sie lieben ihn.“
So wie Vanessa Rodel, philippinische Asylwerberin, die Snowden bei sich versteckte und die Tibbo seit 2012 vertritt. Sie warnte ihn im Herbst 2017, dass die Hongkonger Polizei nach ihm suche. Hintergrund waren Vorwürfe Tibbos gegen die Behörden, weil die offenbar Ende 2016 Häschern der für Folter berüchtigten Kriminalpolizei Sri Lankas erlaubt hatten, in Hongkong nach jenen fünf SnowdenFlüchtlingen zu suchen, die aus Sri Lanka stammen. Anstatt dem nachzugehen, jagte die Hongkonger Polizei aber die Zeugen.
Einer von ihnen war Ranjith Keerti, der aus Sri Lanka stammt und seit über 20 Jahren in Hongkong lebt. Die Beamten aus seinem Heimatland suchten in der sri-lankischen Community Hongkongs nach den Snowden-Flüchtlingen. Keerti kannte eine der Familien und warnte sie umgehend. hout Borders (LWB), die sich eingehend mit Tibbos Fall befasst hat, sprechen von „zu vielen Zufällen“. Denn seit im September 2016 in Hongkong die näheren Umstände zu Snowdens Flucht bekanntgeworden sind, zieht sich die Schlinge um Tibbos Hals immer mehr zu. Dass ihn auch die Hongkonger Bar Association, also die Anwaltskammer, seit damals attackiert, bezeichnet Paradis als „besorgniserregend“. Bar beruft sich dabei auf zwei „anonyme Beschwerden“von „großen Gruppen enttäuschter Anwälte“.
Diese werfen Tibbo vor, mit seinem Engagement für Snowden dem Berufsstand wie auch seinen Mandanten geschadet zu haben. Im selben Atemzug verlangte die Bar Doch anstatt ihn als Zeugen einzuvernehmen, wie Tibbo forderte, nahm ihn die Hongkonger Polizei kurzfristig fest und befragte ihn ausschließlich zu Snowden.
Dasselbe passierte auch anderen Mandanten Tibbos. Sie wurden aufgefordert, tunlichst alles zum Whistleblower preiszugeben. Schließlich nahm die Polizei Tibbo selbst ins Visier und bezichtigte ihn der Lüge sowie Anstiftung zur Falschaussage. Da wusste Tibbo, dass es Zeit war, die Stadt zu verlassen.
Flucht mit Begleitschutz
Diesen Eindruck bestätigt Paradis von LWB, der zu dieser Zeit in Hongkong war: „Der Druck auf ihn wuchs, und es bestand eine gewisse Gefahr.“Man riet Tibbo zur sofortigen Ausreise. In Begleitung von Paradis sowie einem weiteren Mitarbeiter von LWB verließ er Ende November 2017 fluchtartig die Stadt. Rodel begleitete ihren Anwalt auf dem Weg zum Flughafen: „Die Stimmung war sehr angespannt. Zwei Offizielle des kanadischen Konsulats waren zum Schutz mit dabei, einer begleitete Robert bis zum Flugzeug.“
Tibbo kam nicht mehr zurück. Mittlerweile hat er durch seine erzwungene Abwesenheit mehr als 90 Prozent seiner Mandanten verloren. Er fürchtet um deren Sicherheit und fühlt sich machtlos. Als sein Rechtsberater fungiert mittlerweile Geoffrey Robertson, der schon Julian Assange verteidigt hat. Robertson weist auf die Gefahren hin, die daraus erwachsen, wenn Anwälte derart unter Druck geraten. In Tibbos Fall vermutet auch er, dass das Vorgehen gegen ihn mit Snowden zu tun hat.