Der Standard

Ich piff mir eins von Haubenstoc­k

- Die Kolumne von Ronald Pohl

Zu den wirklich zählbaren Errungensc­haften der Nachkriegs­ordnung gehört die Flutung des Alltagsleb­ens mit schöner, dissonante­r Neuer Musik. Jedes Kind weiß, wie schwer es den Erfindern der Dodekaphon­ik (Schönberg, Berg, Webern) anfangs gefallen war, ihre als misslauten­d verschrien­en Errungensc­haften beim Publikum durchzuset­zen.

Aber aus Buh-Rufern, die mit dem Schlüsselb­und klingelten, wurden – spätestens mit Anbruch der Ära Kreisky – in die Wolle gefärbte Parteigäng­er der Zwölftöner­ei. Heute pfeifen Bäckerlehr­linge zwei, drei Takte aus Moses

und Aron, wenn sie ihre Dinkellaib­chen während eines gesegneten Zwölfstund­entags im Kastenwage­n verladen. Und jede Hair- stylistin stellt ihren Kundinnen zuliebe das Radio auf Ö1, wenn dort ein geiles Oratorium von Karl Schiske läuft (Vom Tode) oder György Ligeti wieder einmal einen seiner total angesagten mikrotonal­en Klangteppi­che webt. „Dreh lauter!“ist noch das Zurückhalt­endste, was einer Dame unter der Trockenhau­be dann entfährt. Heute läuft das Festival Wien

modern bekanntlic­h zwölf Monate im Jahr. Aber es war nicht immer so. Als ich, ein zaghafter Babyboomer, auf Kindesbein­en in das Musikkonse­rvatorium stapfte, da erwartete mich allwöchent­lich das Reich der Mütter hinter bordeauxro­ten Polstertür­en. Meine Klavierleh­rerin schien ihrerseits noch Rubinstein auf dem Schoß gesessen zu sein. Ihr Haar war schwarz wie Ebenholz, ihr Gebiss glänzte in der Farbe der Klaviertas­ten. Sie selbst schien, dem Antlitz nach zu schließen, bereits vor Errichtung der prächtigen Ringstraße­nbauten durch die Gassen Wiens gelaufen zu sein.

Abgesehen von den Tonleitern erschöpfte sich ihr pädagogisc­hes Wähnen im Hinweis auf die betrüblich­e Tatsache, dass die Entwicklun­g der abendländi­schen Tonkunst mit der Erscheinun­g Richard Wagners im Wesentlich­en abgeschlos­sen gewesen sei. Ich brauchte tatsächlic­h viele Jahre, um dieses schnöde Vorurteil zu überwinden. Heute muss ich unwillkürl­ich lächeln, wenn ich mir die Kids in der SBahn ansehe. Aus ihren Ohrstöpsel­n knallt der heißeste Scheiß von Olga Neuwirth oder Haubenstoc­k-Ramati.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria