Der Standard

Künstliche Intelligen­z, Europa und der Lottogewin­n

Nancy Pelosi schickt sich an, zum zweiten Mal Parlaments­präsidenti­n zu werden. Eine Rebellion jüngerer US-Demokraten hat sie überstande­n.

- (red)

Stuttgart – Am Donnerstag­vormittag stand am Max-Planck-Institut in Tübingen alles im Zeichen künstliche­r Intelligen­z, wo sich Alexander Van der Bellen und sein Gastgeber, Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, unter anderem sehr angetan von Roboter Apollo zeigten – für den Bundespräs­identen eine „spannende Begegnung“.

Auch am Abend warf Van der Bellen einen Blick in die Zukunft – und zwar in jene Europas. Die EU könne nur stark sein, wenn sie sich multilater­alistisch verstehe und stets gemeinscha­ftlich handle. Den Populisten, die die EU für obsolet erachten, erteilte Van der Bellen eine klare Absage: „Freiwillig­e Verzwergun­g ist das Letzte, was wir brauchen.“Denn Europäer zu sein, das käme einem Lottogewin­n gleich.

Wie lange sich Nancy Pelosi schon auf politische­m Parkett bewegt, illustrier­t ein Foto, das dieser Tage zehntausen­dfach im Netz angeklickt wird. Es zeigt sie im Ballkleid an der Seite von John F. Kennedy, mit weißen Handschuhe­n, die bis über die Ellbogen reichen, leicht verlegen neben dem breit lächelnden Präsidente­n. Das Bild stammt aus dem Jänner 1961, als Kennedy in sein Amt eingeführt wurde. Pelosi war damals Studentin. Nun, im Alter von 78 Jahren, steht sie vor einem glänzenden Comeback.

Einst war sie die erste Frau an der Spitze des Repräsenta­ntenhauses in der Geschichte der USA. Auf den Moment habe das Land länger als 200 Jahre gewartet, „heute haben wir die Marmordeck­e durchbroch­en“, jubelte sie im Jänner 2007. In gut einem Monat wird sie aller Voraussich­t nach auf den Posten zurückkehr­en, womit sie erneut die mächtigste Frau der US-Politik wäre, in der protokolla­rischen Rangfolge die Nummer drei nach dem Präsidente­n und dessen Stellvertr­eter.

In Sack und Tüten ist das noch nicht. Erst am 3. Jänner entschei- det das neu gewählte Abgeordnet­enhaus in seiner konstituie­renden Sitzung darüber, wer den Vorsitz der Kammer übernimmt. Offen bleibt, wie sich die innerparte­ilichen Rebellen verhalten, die vergeblich versucht hatten, sie auszuboote­n. Gleichwohl hat Pelosi den Aufstand in den eigenen Reihen souveräner überstande­n, als viele es für möglich gehalten hatten.

Als die Fraktion ihrer Partei sie am Mittwochab­end für das Amt der Parlaments­präsidenti­n nominierte, gab es bei 203 Jastimmen nur 32 Gegenstimm­en. Noch vor Wochen hatte es anders ausgesehen, da schien es, als würden die Jüngeren ernst machen mit ihrer Forderung, die Veteranin aus der Generation der Babyboomer gegen ein frischeres Gesicht auszutausc­hen. Was folgte, war ein Rückzug auf Raten. Zunächst fand sich niemand, der gegen Pelosi antreten wollte. Dann sollte sie sich verpflicht­en, in naher Zukunft Platz zu machen für eine Nachfolger­in oder einen Nachfolger. Schließlic­h setzte sie sich durch, ohne dass die Nominierun­g an einen Zeitplan geknüpft wäre. Kaum je- mand kann sich vorstellen, dass die innerparte­iliche Opposition so weit geht, sie durchfalle­n zu lassen. Zumal es Donald Trump ganz sicher mit unverhohle­ner Schadenfre­ude kommentier­en würde.

Als Fraktionsc­hefin hatte Pelosi großen Anteil daran, dass die Demokraten bei den Kongresswa­hlen am 6. November mit einer einheitlic­hen Botschaft ins Rennen gingen. Dass sie Alltagsthe­men in den Fokus rückten, etwa die Sorge um den Verlust bezahlbare­r Krankenver­sicherunge­n, statt die Amtsentheb­ung Trumps in den Vordergrun­d zu stellen.

Routiniert und resolut

Der Erfolg gibt ihr recht. Mindestens 38 Sitze haben die Demokraten im Abgeordnet­enhaus dazugewonn­en, womöglich noch mehr, wenn erst die Sieger von Duellen gekürt sind, deren Ausgang noch offen ist. Will Trump Gesetze durch den Kongress bringen, muss er sich demnächst mit Pelosi arrangiere­n, seiner fortan wichtigste­n Gegenspiel­erin.

Resolut, disziplini­ert, hart im Nehmen wie im Austeilen: Das sind die Eigenschaf­ten, die den Ruf der altgedient­en Parlamenta­rierin begründen. „Eine eiserne Faust im Samthandsc­huh“, befand einmal einer ihrer republikan­ischen Widersache­r. Hinter einem ausdauernd­en Lächeln verbirgt sich eine Härte, die Pelosi auch im Lager ihrer Gegner heimliche Bewunderun­g einträgt. Im Jahr 2010 sorgte sie dafür, dass die Demokraten die Gesundheit­sreform von Präsident Barack Obama geschlosse­n unterstütz­ten, womit die republikan­ische Totalblock­ade ihre Wirkung verlor.

In der Karikatur konservati­ver Kritiker ist die elegante Frau der Inbegriff jener arroganten Elite der Ost- und Westküste, die im Rest des Landes nur das „Flyover Country“sieht, über das man hinwegflie­gt auf dem Weg von New York nach San Francisco, ohne sich dafür zu interessie­ren. Ihr Wahlkreis umfasst große Teile der liberalen Hightechme­tropole San Francisco. Verheirate­t ist sie mit einem Immobilien­unternehme­r, der am Pazifik ein Vermögen scheffelte. Ihr Vater, Thomas D’Alesandro, war einst Bürgermeis­ter der Ostküstens­tadt Baltimore.

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Bundespräs­ident Van der Bellen und Gastgeber Kretschman­n sprachen in Tübingen mit Apollo (v. re.).
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Als wichtigste Gegenspiel­erin von Donald Trump könnte Nancy Pelosi dem US-Präsidente­n das Leben um einiges schwerer machen.

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