Der Standard

Europäer sein – der Hauptgewin­n im Geburtsort­lotto

Bundespräs­ident Van der Bellen warnt vor Rückfall in „vorgestrig­e Kleinstaat­erei“

- Gianluca Wallisch

Alexander Van der Bellen wollte ein Missverstä­ndnis aus der Welt schaffen: Es sei nämlich irreführen­d, zu glauben, man müsse sich entscheide­n zwischen der Liebe zum Heimatland und der Liebe zu Europa. Die Idee der Europäisch­en Union sei vielmehr, so führte der Bundespräs­ident laut Redemanusk­ript am Donnerstag­abend anlässlich einer Visite in Baden-Württember­g aus: „Wir können unser Heimatland lieben – und die europäisch­e Idee. Wir können unseren Landsleute­n helfen – und ausländisc­hen Mitbürgern. Wir können uns selber nützen – und zum größeren Wohle aller beitragen.“

Europa sei ein Kontinent des „Und“, nicht des „Entweder-oder“– das mache ihn auf dieser Erde einzigarti­g, sagte Van der Bellen, der sich selbst als „glückliche­n Menschen“bezeichnet­e, denn wie alle Europäer seiner und folgender Generation­en habe er „das Glück, in der Geburtsort­lotterie einen Haupttreff­er gelandet zu haben“. Niemand dürfe sich anderen überlegen fühlen, bloß weil er auf diesem Kontinent in einer Epoche des Friedens geboren worden sei.

Jenen politische­n Kräften, die die EU infrage stellen oder sie sogar als obsolet bezeichnen würden, empfahl der Bundespräs­ident, über die Alternativ­e nachzudenk­en: Natürlich könne man die Meinung vertreten, dass man der nationalen Identität gegenüber dem europäisch­en Gedanken den Vorzug geben sollte. „Aber dann muss man auch dazu sagen, dass der europäisch­e Zwergstaat sehr allein ist, wenn er allein ist.“Denn im Weltmaßsta­b seien sogar Länder wie Deutschlan­d keine Riesen und wären bloß „Spielball mächtigere­r Staaten“wie der USA, Russlands oder Chinas.

Daher mahnte der Bundespräs­ident: „Es ist kein guter Deal, die europäisch­e Solidaritä­t aufzukündi­gen. Wir brauchen die Unteilbark­eit der Union, wir brauchen Einigkeit in der Union, und wir brauchen die europäisch­e Einheit.“Diese Gemeinscha­ft sei dringend nötig, um sich den großen Herausford­erungen unserer Zeit stellen zu können – und er führte als Beispiel den folgenreic­hen Austritt des Vereinigte­n Königreich­es aus der EU (Brexit) und die weltweite Klimakrise an: „Kein Land der Welt kann sie alleine lösen: nicht Deutschlan­d, nicht Österreich.“Die Devise also: Multilater­alismus auf allen Ebenen.

„Verzwergun­g“

Van der Bellen räumte ein, dass die Europäisch­e Union kein vollendete­s Werk sei: Sie sei „niemals abgeschlos­sen“, sondern „ein fortlaufen­des Projekt“. Wie schon zuvor in seiner Rede – und bei bereits etlichen Gelegenhei­ten während seiner bisherigen Amtszeit – warnte der Bundespräs­ident davor, „in vorgestrig­e Kleinstaat­erei zu verfallen. Freiwillig­e Verzwergun­g nach dem Modell Boris Johnson, Ukip, (Marine) Le Pen ist das Letzte, was wir brauchen.“Europa dürfe den Vorteil, ein „transnatio­naler Verband“zu sein, nie aufgeben. Nur so ließen sich die gemeinsame­n Interessen und Prioritäte­n auf internatio­naler Ebene mit Nachdruck und Gewicht vertreten.

Der Bundespräs­ident mahnte in diesem Zusammenha­ng, schon frühzeitig auf die da und dort feststellb­aren Tendenzen zu reagieren, die die europäisch­en Werte infrage stellen oder per „Salamitakt­ik“reduzieren wollen: „Der Rechtsstaa­t und die liberale Demokratie sind unveräußer­liche Güter, die wir verteidige­n müssen.“

Mit „wir“meinte Van der Bellen die Europäer – also alle, die so wie er selbst einen Hauptgewin­n in der „Geburtsort­lotterie“gelandet haben.

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Foto: APA/dpa/Murat Alexander Van der Bellen sieht sich als Glückspilz.

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