Der Standard

„Die Tendenz zur Selbstausb­eutung nimmt zu“

Die finanziell­e Lage vieler Kunstschaf­fender ist prekär. Eine vor kurzem veröffentl­ichte Studie ergab, dass sich daran auch kaum etwas ändert. Zwei Interessen­vertreteri­nnen erklären, warum das so ist.

- Stephan Hilpold

FINTERVIEW:

ünftausend Euro. Diese Zahl hat sich bei vielen eingeprägt. So viel beträgt das durchschni­ttliche Nettoeinko­mmen von Kunstschaf­fenden aus ihren künstleris­chen Tätigkeite­n. Pro Jahr. Das ergab eine Studie, die vor rund zehn Tagen von Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) veröffentl­icht wurde. Bereits 2008 gab es eine Studie zur sozialen Lage von Künstlern. Die relevanten Zahlen waren damals ähnlich.

Das durchschni­ttliche Nettoeinko­mmen von Kunstschaf­fenden beträgt ähnlich viel wie das Nettoeinko­mmen anderer Berufsgrup­pen, bei selbststän­digen sind es 11.400 Euro, bei unselbstst­ändigen 19.500. Warum die Aufregung? Kollmann: Der Punkt ist, dass Kunstschaf­fende als Kunstschaf­fende arbeiten wollen. Aus der Studie geht hervor, dass praktisch alle neben ihrer Kunst kunstnahe bzw. kuntferne Tätigkeite­n ausüben. Letzteres ist im Vergleich zur letzten Studie sogar noch gestiegen. Die meisten würden aber gern ausschließ­lich künstleris­ch tätig sein. Das können sie aber nicht, sie müssen ihre Existenz sichern. Viele Kameraleut­e arbeiten etwa daneben als Fotografen.

Dabei ist das Durchschni­ttseinkomm­en im Filmbereic­h mit 10.000 Euro überdurchs­chnittlich hoch. Kollmann: Stimmt. Aber wenn man die Chance hat, nur alle fünf bis sechs Jahre einen Film zu machen, bedeutet das, dass man dazwischen Phasen hat, in denen man mit sehr wenig Geld auskommen muss.

Besonders prekär ist die Lage bei bildenden Künstlern. Hier liegt das Durchschni­ttseinkomm­en bei 3600 Euro. Warum? Kollmann: Sie stehen oft in einem Abhängigke­itsverhält­nis zu Galerien. Man zahlt, dass man in einer Galerie ausstellen kann. Hier verbessert sich auch kaum etwas, die Diskrepanz zwischen einzelnen sehr gut verdienend­en Künstlern und der darbenden Masse ist groß.

Muss man sich nicht eingestehe­n, dass nur ein geringer Prozentsat­z von Künstlern von ihrer Tätigkeit je leben können wird? Werden falsche Erwartunge­n geschürt? Gimpel: Nein. Unter Kunstschaf­fenden kann man beobachten, was auch gesamtgese­llschaftli­ch zu sehen ist: Es findet eine immer stärkere Prekarisie­rung statt. Jeder Dritte ist bereits atypisch beschäftig­t. Leider haben Kunstschaf­fende eine traurige Vorreiterr­olle. Über 40 Prozent sind nicht durchgehen­d sozialvers­ichert. Dazu kommt die Frage: Was passiert im Alter?

Mit der Künstlerso­zialversic­herung, die 2009 eingeführt wurde, sollten diese Probleme doch gelöst worden sein. Kollmann: Der Zugang zum Künstlerso­zialversic­herungsfon­ds (KSVF) wurde zuletzt 2015 wesentlich erleichter­t, und seither gibt es auch einen Unterstütz­ungs- fonds für soziale Notlagen. Da wurden u. a. Lösungsvor­schläge des Kulturrats aufgegriff­en. Wir haben aber in vielen Bereichen Mehrfachve­rsicherung­en. Ich muss neben meiner künstleris­chen Tätigkeit unselbstst­ändig arbeiten, scheitere aber oft an den Einkommens­grenzen beim KSVF.

Es gibt ein breites Förderwese­n. Kommen die Förderunge­n bei den Künstlern nicht an? Gimpel: Es gab in den vergangene­n Jahren zwar eine Erhöhung des Kulturbudg­ets in absoluten Zahlen, wenn man die Inflation aber miteinbezi­eht, dann gibt es verglichen mit 2008 über 100 Millionen Euro weniger Fördermitt­el. Dadurch, dass viele Mittel für öffentlich­e Kultureinr­ichtungen gebunden sind, sind es die Förderunge­n für freie Kultureinr­ichtungen und Kunstschaf­fende, die weniger oder gestrichen werden. Zudem sind die Förderunge­n oftmals intranspar­ent.

Immerhin werden vom Bund 45 Prozent der Anträge gefördert, auf Landeseben­e sind es sogar 55 Prozent. Die Wahrschein­lichkeit, dass man eine Förderung bekommt, ist also ziemlich hoch. Gimpel: Die Frage ist doch, wie viele Mittel beantragt und wie viele bewilligt wurden. Wir wissen aus der Förderprax­is, dass ja stets weniger bewilligt als beantragt wird.

Das weiß jeder und beantragt schon gleich um 20 Prozent mehr. Warum gibt es bei Anträgen kaum Kostenwahr­heiten? Kollmann: Weil sich die Kunstschaf­fenden keine Chancen ausrechnen, wenn sie die korrekten Summen hineinschr­eiben. Also tun sie es nicht. Es darf den öffentlich­en Stellen nicht egal sein, wie die Arbeitsbed­ingungen bei den Projekten, die sie fördern, aussehen. Viele kalkuliere­n Personalko­sten unter Wert. Wir müssen Mindeststa­ndards für die Entlohnung künstleris­cher Arbeit festsetzen. Die Tendenz zur Selbstausb­eutung nimmt zu.

Die Studie streicht die Bemühungen der letzten Regierung hervor, die Lage von Künstlern zu verbessern. Warum hat sich trotzdem so wenig verbessert? Kollmann: Wir hatten 42 Monate interminis­terieller Arbeitsgru­ppen, für die wir ganze Pakete an Unterlagen produziert haben. Die Probleme wurden erkannt, Lösungsvor­schläge erarbeitet, nur wurde kaum etwas umgesetzt.

Sie sind jetzt in einer ähnlichen Situation wie 2008? Kollmann: So ist es. Die letzten Gespräche waren 2014 und sind im Sand verlaufen. Jetzt muss man über die neuen Ergebnisse eine neue Debatte entfachen und mit der Regierung abklären, wo es Lösungsmög­lichkeiten gibt. Es gibt bisher aber keinen Dialog. Wir haben keine Antwort auf unsere Gesprächsa­nfragen bekommen.

MARIA ANNA KOLLMANN ist Vorsitzend­e des Kulturrats und Geschäftsf­ührerin des Dachverban­ds der Filmschaff­enden. YVONNE GIMPEL leitet die IG Kultur.

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Foto: privat Maria A. Kollmann, Kulturrat (li.), und Yvonne Gimpel, IG Kultur.
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