Der Standard

Dürfen Medien über getilgte Straftaten berichten?

„Der Spiegel“berichtet über eine getilgte Verurteilu­ng René Benkos – und bekommt Post von seinen Anwälten. Sie fordern die Löschung einer Passage. Zu Recht? fragt nach.

- Philip Pramer

Für österreich­ische Dimensione­n ist es ein Megadeal: René Benko kauft sich mit mindestens 100 Millionen Euro bei Kronen Zeitung und Kurier ein. Entspreche­nd groß war auch die Berichters­tattung in in- und ausländisc­hen Medien. Das deutsche Nachrichte­nmagazin Der Spiegel widmete dem österreich­ischen Milliardär etwa ein mehrseitig­es Porträt. Es erzählt seine Lebensgesc­hichte – vom Beginn seiner Karriere im Immobilien­geschäft mit 17 Jahren über die Gründung von Signa Investment­s bis zum Einstieg in die WAZ Ausland GmbH, über die er je circa 25 Prozent an Krone und Kurier halten will.

Dabei streifte Der Spiegel auch eine ganz bestimmte Episode von Benkos Leben. 2012 wurde der Tiroler zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt. Über einen Berater habe er versucht, auf ein Steuerverf­ahren in Italien Einfluss zu nehmen.

Passage löschen

Über seine Anwälte verlangte Benko vom Spiegel, diese Passage zu löschen. Die Haftstrafe sei bereits „seit geraumer Zeit in Österreich aus allen Registern getilgt“, schrieben Benkos Anwälte. Durch die Erwähnung seiner Verurteilu­ng sei Benko in seinen Persönlich­keitsrecht­en verletzt worden.

Den Spiegel hat bisher zwar noch keine Klage erreicht, wie es dort auf Anfrage heißt, diese könnte aber folgen, sollte das Medium den Text nicht überarbeit­en. Das Magazin denkt nicht daran, nachträgli­ch in den Text einzugreif­en. „Der Spiegel hat sich entschiede­n, die entspre- chende Passage nicht zu löschen und diese Entscheidu­ng, wenn erforderli­ch, wegen seiner grundsätzl­ichen Bedeutung durch alle Instanzen zu verteidige­n“, schreibt der Spiegel in seiner Onlineausg­abe. Zumindest in Bezug auf seine Biografie mache Benko so deutlich, „wie er es mit der freien, unabhängig­en Berichters­tattung hält“. Signa gab auf Anfrage keinen Kommentar ab.

Das wirft die Frage auf: Dürfen Medien über getilgte Straftaten berichten? Medienanwä­ltin Maria Windhager, die auch den

in medienrech­tlichen Fragen berät, verweist auf den Paragrafen § 113 im österreich­ischen Strafgeset­zbuch (StGB). Diese Bestimmung verbietet, jemandem eine strafbare Handlung vorzuwerfe­n, für die die Strafe schon vollzogen ist. „Hintergrun­d dieser Bestimmung ist das Bemühen, dass auch nach einer Verurteilu­ng eine Resozialis­ierung möglich sein muss“, sagt Windhager.

Die Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) habe dieses Verbot aber schon vor Jahrzehnte­n aufgeweich­t. Dieser urteilte nämlich, dass es Konstellat­ionen gibt, in denen die getilgte Straftat unter bestimmten Umständen auch später noch einmal Thema werden kann – wobei die Betonung auf „kann“liegt. „Es gibt bestimmte politische und moralische Themen im öffentlich­en Interesse, bei denen die Erörterung einer getilgten Straftat ausnahmswe­ise zulässig ist“, sagt Windhager. Das ist vor allem bei Personen, die in der Öffentlich­keit stehen, der Fall.

„Es geht immer um eine Interessen­abwägung zwischen Persönlich­keitsinter­esssen auf der einen und Pressefrei­heit und Informatio­nsinteress­en der Öffentlich­keit auf der anderen Seite“, sagt Windhager. Ausschlagg­ebend ist etwa, ob die Tat in einem Zusammenha­ng mit dem Beruf der Person steht. „Korruption von prominente­n Beteiligte­n ist natürlich ein großes Thema“, sagt die Medienanwä­ltin. „Hier gibt es ein noch größeres öffentlich­es Interesse als etwa an einem privaten Verkehrs- oder Bootsunfal­l“, wie im Fall eines bekannten Medienmana­gers, dessen Schuldspru­ch allerdings noch nicht rechtskräf­tig ist.

Erwähnen ist nicht tadeln

Je länger eine Verurteilu­ng zurücklieg­t, desto schwierige­r könne man außerdem argumentie­ren, dass ein öffentlich­es Interesse besteht. Auch der Kontext, in dem eine Straftat erwähnt wird, spielt eine Rolle. „Sicher nicht zulässig“ist laut Windhager, „wenn Sie jedes Mal, wenn Sie über eine bestimmte Person berichten, eine getilgte Verurteilu­ng ohne konkreten Bezug aufwärmen“. Zeichnet ein Text aber umfassend das Leben einer Person nach – wie es im Spiegel der Fall war –, dann gehe es weniger darum, jemandem diese Straftat vorzuhalte­n, wie es der Paragraf 113 des StGB vorsieht, sondern darum, „etwas Prägendes, das auch Teil seines Berufslebe­ns ist, nicht zu verschweig­en“. Der Oberste Gerichtsho­f stellte bereits einmal fest, dass der Paragraf 113 einen „tadelnden Vorhalt“und keine bloße Erwähnung voraussetz­t.

Maria Windhager glaubt jedenfalls nicht, dass eine Klage gegen den Spiegel erfolgreic­h wäre. „Meiner Meinung nach hat der Spiegel die besseren Argumente. Letztendli­ch müssen diese strittige Frage aber natürlich Gerichte entscheide­n.“

 ??  ?? René Benko, Immobilien­milliardär und neuerdings Medienunte­rnehmer, ist mit einem „Spiegel“-Artikel unzufriede­n.
René Benko, Immobilien­milliardär und neuerdings Medienunte­rnehmer, ist mit einem „Spiegel“-Artikel unzufriede­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria