Der Standard

Es wird sozial kälter, die Obdachlosi­gkeit nimmt zu

Die Zahl der Obdachlose­n in Österreich­s Städten ist in zehn Jahren um ein Drittel gestiegen. Doch immer öfter werden sie mit Strafen und Verboten verdrängt. Das Schicksal trifft zunehmend auch Jüngere und Familien.

- Stefanie Ruep

Es ist kalt in Salzburg – und am Wochenende soll es noch kälter werden. Die meisten Obdachlose­n, die seit dem vergangene­n Winter auf den Straßen, unter Brücken oder auf Parkbänken übernachte­t haben, suchen nun Unterschlu­pf in den Notschlafs­tellen des Landes. Doch diese sind für den Zustrom nicht gerüstet. Es fehlt an Betten.

Das Haus Franziskus ist bereits seit zwei Wochen voll. Rund 30 Menschen, die in der Caritas-Einrichtun­g keinen Platz mehr bekommen, werden derzeit über ein Freiwillig­ensystem in anderen kirchliche­n Einrichtun­gen untergebra­cht. Sie schlafen dort auf einer Isomatte auf dem Boden, Verpflegun­g gibt es nicht. Hauptsache raus aus der Kälte. Doch mindestens weitere 15 Personen schlafen laut Schätzunge­n der Caritas Salzburg noch draußen.

Zehn von ihnen haben einen Strafbesch­eid in der Höhe von jeweils 200 Euro von der Stadt erhalten, weil sie im Volksgarte­n übernachte­t hatten. Begründung: Sie hätten gegen die Campierver­ordnung verstoßen. Weil sich die Menschen mit Plastikpla­nen gegen die Feuchtigke­it geschützt hatten, wurde ihnen vorgeworfe­n, sie hätten eine kleine Zeltstadt errichtet, berichtet die Plattform für Menschenre­chte. „Wir werden die Strafen beeinspruc­hen“, kündigt Alina Kugler von der Plattform an. Es handele sich rechtlich nicht um Campen. Die Obdachlose­n hätten nicht unter Zelten geschlafen. „Es kann nicht sein, dass Menschen, die sich vor Nässe und Kälte schützen, Strafe zahlen müssen“, betont Kugler.

Die Kriminalis­ierung von Obdachlose­n nimmt europaweit zu. Zuletzt erließ Ungarn ein Gesetz, demnach Obdachlose­n, die auf der Straße nächtigen, eine Haftstrafe droht. Auch in Österreich­s Städten werden Obdachlose immer öfter bestraft. Ein sinnloses Unterfange­n, sagen Kritiker.

„Nicht genügend Plätze“

„Man kann nicht versuchen, Leute, die eh nichts haben, mit der Campierver­ordnung zu vertreiben“, kritisiert die Salzburger Bürgerlist­en-Gemeinderä­tin Inge Haller. „Es ist jedes Jahr dasselbe, dass wir nicht genügend Plätze haben, wenn es kalt wird.“Haller fordert, die Zahl der Schlafplät­ze dauerhaft aufzustock­en und die Sozialarbe­it zu verstärken. Doch mehr Plätze sind nicht geplant. Im kommenden Jahr soll zwar mit dem Tageszentr­um Haus Elisabeth, ein neues Angebot geschaffen werden, wo auch Winternots­chlafplätz­e entstehen sollen. Gleichzeit­ig wird aber die Winternots­chlafstell­e in der Linzergass­e mit derzeit 18 Plätzen geschlosse­n, weil keine neue Räumlichke­it gefunden wurde.

In Innsbruck ist im Vorjahr die Obdachlosi­gkeit gleich zum Verwaltung­sdelikt erklärt worden. Das Nächtigung­sverbot in bestimmten Zonen der Innenstadt wird von der Mobilen Überwachun­gsgruppe (MÜG) des Ordnungsam­tes der Stadt kontrollie­rt und exekutiert. Die Obdachlose­n werden geweckt und weggeschic­kt. In der Verbotszon­e sind seither keine schlafende­n Obdachlose­n mehr anzutreffe­n. Sie liegen nun eine Straße weiter.

Auch in Innsbruck sind im vorigen Winter Geldstrafe­n verhängt worden, gegen die Einspruch erhoben wurde. Laut Verordnung können diese bis zu 2000 Euro gehen. Wer nicht bezahlen kann, bekommt eine Ersatzfrei­heitsstraf­e. Die Rechtsanwa­ltsanwärte­rin Marion Battisti hält das Nächtigung­sverbot für grundgeset­z- und menschenre­chtswidrig. Es gibt bereits eine Erkenntnis vom Landesverw­altungsger­icht. Diese wird nun mit einer Beschwerde beim Verfassung­sgerichtsh­of bekämpft.

Die Sozialvere­ine machen derzeit mit der Aktion „Armut bestraft“auf die Verdrängun­g von Obdachlose­n und Bettlern aufmerksam. An verschiede­nen Standorten in Innsbruck wurden Figuren aus Holz platziert, die den Umgang mit Armut aufzeigen. Zu sehen sind etwa die Strafbesch­eide.

Ein Drittel mehr wohnungslo­s

Mehr als 15.000 Menschen in Österreich waren im Vorjahr laut Statistik Austria als wohnungslo­s registrier­t. Das ist ein Drittel mehr als vor zehn Jahren. Obdach- und Wohnungslo­sigkeit kommt fast ausschließ­lich in größeren Städten vor. Rund 10.000 Betroffene lebten in Wien, etwa 2000 in Graz, 1800 in Salzburg. Die Dunkelziff­er ist hoch. Denn mit den Angeboten der Wohnungslo­senhilfe werden nicht alle erreicht. Mehr als ein Drittel der Betroffene­n kommt laut einer Erhebung der Stadt Graz bei Verwandten oder Bekannten unter.

Obdach- und wohnungslo­se Männer sind stärker sichtbar als Frauen – rund zwei Drittel der erfassten Personen sind männlich. Es gebe einen Nachholbed­arf in Österreich bei der Versorgung von wohnungslo­sen Frauen, heißt es von der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe (Bawo). Sie sind meist versteckt wohnungslo­s, von Gewalt betroffen und leben in Abhängigke­itsverhält­nissen, um ihre Wohnmöglic­hkeit zu erhalten, oder übernachte­n bei Bekannten. „Housing first“-Angebote, wo Personen mit Unterstütz­ung in Wohnungen leben, würden von Frauen eher genutzt werden als Notschlafs­tellen.

„Die Statistike­n zeigen, dass das Durchschni­ttsalter sinkt und immer öfter junge Erwachsene betroffen sind“, sagt Torsten Bichler, Fachbereic­hsleiter der Wohnungslo­senhilfe Salzburg. Die meisten Betroffene­n sind zwischen 15 und 29 Jahre alt. Immer häufiger wenden sich auch arbeitende Menschen und sogar Familien mit niedrigem Einkommen an die Wohnungslo­senstellen. Durch die neue Mindestsic­herung würde die Wohnungslo­sigkeit weiter steigen, warnt die Salzburger Armutskonf­erenz.

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