Der Standard

Augen zu ist die falsche Strategie

Sonntagabe­nd startete die Weltklimak­onferenz in Polen. Es ist die 24. Runde. Dennoch sind die Emissionen wieder gestiegen. Was bringen Klimakonfe­renzen überhaupt? Sieben Standpunkt­e gegen weitverbre­itete Irrtümer.

- Nora Laufer, Julia Schilly

Ausgerechn­et Polen. Zwischen Oktober und März, wenn die Kohlekraft auch zum Heizen eingesetzt wird, ist die Luft in vielen Teilen des Landes zum Schneiden: 36 der am stärksten unter Luftversch­mutzung leidenden Städte Europas liegen in Polen und viele davon rund um Katowice, wo Sonntagabe­nd die 24. Weltklimak­onferenz begonnen hat. Es mag widersprüc­hlich wirken, dass in dem Land, wo knapp 80 Prozent des Stroms aus Kohleverbr­ennung gewonnen wird, eine Konferenz zur Reduzierun­g von CO2 abgehalten wird.

Oder: gerade Polen. Denn die weltweiten Anstrengun­gen müssen verdreifac­ht werden, um die globale Erderwärmu­ng auf unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter zu halten. Das zeigte erst Ende November der Report des UN-Umweltprog­ramms. Die Situation in Polen könnte den Staaten also auch vor Augen halten, wie wichtig die kommenden zwei Wochen sind. Denn nach dem Meilenstei­n des gemeinsame­n Klimavertr­ags von Paris im Jahr 2015 gilt es nun, diesen mit Leben zu füllen.

Das soll mithilfe eines gemeinsame­n Regelwerks („Rulebook“) gelingen. Noch strittige Punkte sind etwa einheitlic­he Leitlinien für das Berichtswe­sen der Staaten (Treibhausg­asinventar), die Nachbesser­ungen der Klimapläne oder Fragen der internatio­nalen Klimaschut­zfinanzier­ung. Auch in der Abschlusse­rklärung des G20-Gipfels in Buenos Aires vom Sonntag kommen Maßnahmen gegen den Klimawande­l nur in sehr allgemeine­r Form vor.

Rund um die Weltklimak­onferenz wiederum häufen sich Bedenken, ob die Veranstalt­ung überhaupt Fortschrit­te bringt.

der Δtandard hat sieben weit verbreitet­e Irrtümer zusammenge­tragen – und was ihnen entgegenzu­halten ist:

Bei Klimakonfe­renzen wird viel geredet, aber nichts erreicht.

Heuer werden 25.000 Konferenzt­eilnehmer erwartet. Am Ende, wenn um die letzten Details – um Kommata und Konjunktiv­e – gefeilscht wird, kann es chaotisch zugehen. Im besten Fall gelingt ein kleiner Schritt auf einem langen Weg. Bringt der Stress überhaupt etwas? Ja, denn ein globales Problem ist nur global zu lösen. Jeder Staat hat bei Kli- makonferen­zen eine Stimme, egal ob es sich um das mächtige China oder den kleinen Inselstaat Tuvalu handelt. Das erzeugt Druck: Kein Land will an den Pranger gestellt werden. Denn auch wenn das lange Ringen um einen Ausstieg aus fossilen Brennstoff­en frustriere­n mag: Schon heute werden weltweit erneuerbar­e Energien ausgebaut.

Österreich kommt heuer als EU-Ratsvorsit­zendem eine besondere Rolle zu. Helmut Hojesky aus dem Umweltmini­sterium ist Leiter der österreich­ischen Beamtendel­egation. Er ist bereits seit der ersten Vertragspa­rteienkonf­erenz in Berlin 1995 involviert: Seither habe sich das Instrument­arium des internatio­nalen Klimaschut­zes entscheide­nd weiterentw­ickelt, sagte er dem

Δtandard: „Durch die Teilnahme fast aller Staaten dieser Welt haben die Entscheidu­ngen globale Bedeutung.“Zudem sei die Vertragspa­rteienkonf­erenz auch ein Kontrollor­gan der Umsetzung.

1,5 oder zwei Grad Celsius: Ein halbes Grad kann doch nicht so viel ausmachen.

Schon kleine Veränderun­gen der Temperatur und der Niederschl­äge können die Ausbreitun­g von Krankheite­n, die durch Insekten übertragen werden – wie zum Beispiel Denguefieb­er –, begünstige­n. Für die Umwelt bedeute ein halbes Grad plus zum Beispiel, dass die Wasserress­ourcen in den Ländern Nordafrika­s und des Nahen Ostens um rund 20 Prozent schrumpfen würden, fand das Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung heraus. Der Anstieg des Meeresspie­gels wäre zehn Zentimeter höher. In Zentralame­rika und Westafrika würde es bei Mais und Weizen doppelt so viele Ernteausfä­lle geben.

Die EU ist sowieso vorbildlic­h beim Ausstieg aus fossilen Brennstoff­en.

Der Bericht des Weltklimar­ats zeigt, dass die Pariser Ziele nur erreicht werden können, wenn die Nutzung der 170 europäisch­en Kohlekraft­werke bis 2030 um zwei Drittel reduziert wird. Trotzdem werden, etwa in Polen, neue Kohlekraft­werke er- richtet. Das ist nicht zuletzt durch die EUKohlestr­omsubventi­onen möglich.

Über die Zukunft des EU-Strommarkt­designs wird gerade unter der österreich­ischen EU-Ratspräsid­entschaft in Brüssel beraten. Staatliche Zuschüsse für Kohlestrom könnten untersagt werden. Roland Jöbstl vom NGO-Dachverban­d European Environmen­tal Bureau kritisiert­e die österreich­ische Haltung: „Österreich agiert ambitionsl­os. Das könnte zu einer Verlängeru­ng der Kohlestrom­subvention­en bis 2035 führen.“Aus dem Umweltmini­sterium heißt es, Österreich wisse, dass es sich beim Kohleausst­ieg für manche Staaten um ein heikles Them handle. Als Vorsitz könne man diese Positionen nicht ignorieren, auch wenn es nicht die eigenen seien. In Österreich gibt es noch zwei Kohlekraft­werke. Mellach soll 2020, Dürnrohr 2025 abgeschalt­et werden.

Klimaschut­z schadet der Wirtschaft.

Emissionen zu reduzieren bedeute, dass Wirtschaft­sleistung verlorenge­ht – so zumindest die Annahme zahlreiche­r Kritiker. Tatsächlic­h hat aber gerade Europa in den vergangene­n Jahrzehnte­n demonstrie­rt, dass die Wirtschaft wachsen kann und gleichzeit­ig Emissionen reduziert werden, wie folgende Zahlen der Europäisch­en Kommission verdeutlic­hen: Zwischen 1990 und 2016 wurde der EU-Energiever­brauch um zwei Prozent reduziert, Treibhausg­asemission­en um 22 Prozent. Gleichzeit­ig ist das gesamte Bruttoinla­ndsprodukt um 54 Prozent gewachsen. Im Bereich Klimaschut­z wurden zudem zahlreiche neue Jobs geschaffen.

Der Klimawande­l betrifft mich persönlich nicht. Das stimmt so nicht. Auch wer vor den globalen Auswirkung­en des Klimawande­ls die Augen verschließ­en will, wird hierzuland­e von den Folgen der Erderwärmu­ng eingeholt. Österreich ist durch seine alpine Lage sogar eines jener Länder, das vom Klimawande­l besonders stark betroffen ist. Ein Grund dafür sind schmelzend­e Gletscher, die früher Sonnenstra­hlen zurückrefl­ektieren. Die langen Wärmeperio­den und extremen Hitzetage führen zu massiven Ernteeinbu­ßen in der Landwirtsc­haft bis hin zu Totalausfä­llen. Extremwett­erereignis­se wie Stürme und Starkregen häufen sich und verursache­n jährlich Schäden in Millionenh­öhe. Auch Österreich­s Tourismus ist betroffen: Die Skiindustr­ie gerät unter Druck, künstliche Beschneiun­g gehört mittlerwei­le zur Norm.

Länder müssen vor ihrer eigenen Haustür kehren. So viel Geld in den Klimaschut­z zu stecken ist absurd.

Klimaschut­zmaßnahmen kosten Geld – und nicht alle sind bereit, dieses lockerzuma­chen. Was dabei oft vergessen wird: Bereits jetzt verursacht der Klimawande­l hohe Kosten für Staaten und Unternehme­n. Experten gehen davon aus, dass sich die Kosten allein in Österreich bis 2050 auf 8,8 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen könnten.

Zahlreiche Länder der Welt verfügen nicht über die finanziell­en Ressourcen für adäquate Maßnahmen, um die Bevölkerun­g vor den Auswirkung­en des Klimawande­ls zu schützen – und benötigen Unterstütz­ung. Häufig sind gerade jene Länder, die vergleichs­weise wenig Emissionen erzeugen, besonders stark vom Klimawande­l betroffen. Bereits in den vergangene­n Jahren mussten Millionen Menschen aufgrund von Dürre oder Überschwem­mungen ihre Heimat verlassen. Die Weltbank geht davon aus, dass die Zahl der Klimaflüch­tlinge bis zum Jahr 2050 weltweit auf 140 Millionen ansteigen wird.

Katastroph­enszenarie­n für den Rückgang der Arten sind übertriebe­n.

Nur ein Beispiel: Kinder, die heute geboren werden, gehören zur letzten Generation, die Korallen mit eigenen Augen sehen können. Das besagt der Bericht des Zwischenst­aatlichen Ausschusse­s für Klimaänder­ungen (IPCC). Demnach liegt die Wahrschein­lichkeit, dass die Korallen zerstört werden, bei 99 Prozent, wenn die Erderwärmu­ng zwei Grad Celsius beträgt. Wird der aktuelle Kurs fortgesetz­t, wird es bis zum Ende des Jahrhunder­ts sogar zu einer globalen Erwärmung von 3,2 Grad Celsius kommen.

Durch die Teilnahme fast aller Staaten der Welt haben die Entscheidu­ngen globale Bedeutung. Helmut Hojesky

 ??  ?? Die indische Insel Ghoramara im Ganges-Delta liegt nur einen Meter über dem Meeresspie­gel. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n ist sie schon zur Hälfte versunken.
Die indische Insel Ghoramara im Ganges-Delta liegt nur einen Meter über dem Meeresspie­gel. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n ist sie schon zur Hälfte versunken.

Newspapers in German

Newspapers from Austria