Der Standard

Die Sozialprot­este in Frankreich eskalieren

Regierung reagiert nach Krawallnac­ht am Wochenende mit Härte – Rufe nach Referendum werden laut

- Stefan Brändle aus Paris

Das sei ja „wie im Bürgerkrie­g“, meinte ein englischsp­rachiger Passant, der sich am Sonntagmor­gen bei der Avenue Kléber einen Weg zwischen herausgeri­ssenen Pflasterst­einen bahnte. Überall lagen die Trümmer einer langen Nacht herum – geplündert­e Läden, ausgebrann­te Autowracks und verkohlte Barrikaden. Die Polizei hatte im Viertel zwischen Champs-Élysées und Boulevard Haussmann 412 Randaliere­r festgenomm­en. 133 Leute wurden verletzt, mehrere schwer.

Präsident Emmanuel Macron suchte am Sonntagmor­gen, kaum war sein Flieger vom G20-Gipfel in Argentinie­n gelandet, den Schauplatz auf. Einige Zaungäste buhten ihn aus und riefen „Macron, démission!“, andere dagegen „Tenez bon!“(„Halten Sie durch!“).

Der Präsident ließ sich nicht beirren und suchte zu Fuß den Triumphbog­en auf, dessen Eingangsrä­ume mit Hämmern beschädigt worden waren. Einzelne Vermummte, die der Ultrarecht­en oder -linken zugerechne­t werden, schafften es sogar, das Dach des Monuments zu besteigen. Ein Polizeiver­treter sprach von einer „Stadtgueri­lla“. Ihr waren die gut ausgerüste­ten Bereitscha­ftspolizis­ten nicht gewachsen, obwohl sie über Wasserwerf­er verfügten und insgesamt 10.000 Tränengasp­atronen verschosse­n. Millionen von Franzosen verfolgten die spektakulä­ren Szenen live im Fernsehen. Macron weiß auch, dass solche Bilder über den Ausgang des überaus harten Sozialkonf­likts entscheide­n werden – und dass es die Franzosen nicht mögen, wenn ein nationales Symbol wie der Arc de Triomphe besudelt wird. In einer Limousine fuhr Macron dann zu einer Krisensitz­ung in den Élysée-Palast. Innenminis­ter Christophe Castaner schloss die Ausrufung des Notstands nicht aus. Später hieß es, diese Maßnahme sei nicht diskutiert worden.

Wut auf Macron

Die Gewalt weitet sich allerdings auf das ganze Land aus – und richtet sich immer direkter gegen Macron. Erstmals kam es auch in Provinzstä­dten wie Toulouse, Bordeaux, Marseille sowie im frankophon­en Belgien zu Krawallen. In Arles ereignete sich an einer Straßenspe­rre ein tödlicher Auffahrunf­all. Es ist das dritte Todesopfer seit Beginn der Proteste.

Ein Komitee von Gelbwesten publiziert­e in einer Sonntagsze­itung einen Aufruf zur Mäßigung. Es zeigt sich bereit, mit der Regierung zu diskutiere­n – aber nur, wenn die umstritten­e Steuererhö­hung auf Benzin und Diesel zurückgeno­mmen werde. Der Staatschef hat zwar kleinere Konzession­en gemacht, will aber in der Hauptsache hart bleiben, wohl wissend, dass sein gesamter Reformkurs auf dem Spiel steht – und damit auch seine politische Zukunft.

Forderung nach Referendum

Der Chef der konservati­ven Republikan­er, Laurent Wauquiez, verlangte am Sonntag ein Referendum über die Steuer- und Umweltpoli­tik Macrons. Eine solche Volksabsti­mmung würde sich bei der zunehmende­n Unpopulari­tät unweigerli­ch in ein Plebiszit über den Präsidente­n verwandeln. Die Gewaltexze­sse in Paris könnten den Gelbwesten allerdings etliche Sympathien kosten. Wauquiez wirft Macron deshalb vor, er habe am Samstagabe­nd bewusst „nur“knapp 4500 Polizisten aufgeboten.

Linkenchef Jean-Luc Mélenchon und die Rechtspopu­listin Marine Le Pen verlangten am Sonntag nicht zum ersten Mal die Auflösung der Nationalve­rsammlung und die Ausrufung von Neuwahlen. Macron kann angesichts seiner Unpopulari­tät nicht daran denken. Eine politische Antwort auf den Konflikt muss er dennoch finden.

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Foto: AFP / Abdulmonam Eassa Die Pariser Einsatzkrä­fte waren am Wochenende ausgelaste­t.

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