Patrizier, Realpolitiker, Präsident
Der Tod von George H. W. Bush markiert das Ende einer Ära – eines geschichtlichen Bogens, der sich vom Zweiten Weltkrieg bis zum Fall des Eisernen Vorhangs spannte.
Wenn wir es falsch anpacken“, so schrieb George Herbert Walker Bush am 8. November 1989 in sein Tagebuch, „wenn es so aussieht, als wäre es ein amerikanisches Projekt, dann beschwören wir womöglich Repressionen herauf; eine negative Reaktion, die im Blutvergießen enden könnte.“Was er fürchte, hatte er zwei Tage zuvor vermerkt, sei ein Szenario, das „die Sowjets“angesichts der Aufstände in Osteuropa zum Eingreifen zwänge – womit man wieder am Nullpunkt wäre.
Tags darauf, am 9. November, fiel die Berliner Mauer – und als Bush vor dem Pressekorps des Weißen Hauses darüber sprach, legte er Wert darauf, ja nicht in Jubel auszubrechen. Das sei doch ein glänzender Sieg für den Westen, „Sie aber scheinen in keiner Weise begeistert“, beobachtete Lesley Stahl, eine Reporterin von CBS News. „Ich bin kein emotionaler Typ“, erwiderte Bush. „Nun, wie begeistert sind Sie?“Antwort: „Ich bin sehr zufrieden.“
Die Amerikaner nehmen nun Abschied von einem Mann, der so eindeutig für die nüchtern-realpolitische Schule stand wie kaum ein anderer ihrer Präsidenten. Als die Welt Feuer fing, habe er mit einer Kühle agiert, die ihn bisweilen wie einen unbeteiligten Zuschauer wirken ließ, blendet Jon Meacham, Autor der aktuellsten Bush-Biografie, zurück.
„Dankbar für jede Minute“
Barack Obama, auch er vorsichtiger Realpolitiker, lobt das Amtsverständnis des 41. Präsidenten: Bushs Leben zeige, dass öffentliches Dienen etwas Nobles, Freudiges sein könne. Bill Clinton, der den Republikaner 1992 im Rennen ums Oval Office besiegte und später gemeinsam mit ihm die Erdbebenhilfe für Haiti organisierte, spricht von einer Freundschaft, die er als eines der größten Geschenke seines Lebens ansehe. „Ich bin dankbar für jede Minute, die ich mit ihm verbracht habe.“
Und Donald Trump, über den Bush im Wahljahr 2016 sagte, der Mann sei ein Angeber, den er wegen seines Egos nicht möge, wird eigens die Air Force One nach Houston beordern, um den Leichnam des am Freitag Verstorbenen nach Washington zu überführen. Dort soll der Sarg zwei Tage lang im Kapitol aufgebahrt werden, ehe am Mittwoch in der Nationalka- thedrale die Trauerfeier stattfindet. Zu der ist, anders als beim Abschied von Senator John McCain, Trump ausdrücklich eingeladen.
Der Tod des 94-Jährigen markiert das Ende einer Ära. Bush hatte im Zweiten Weltkrieg gekämpft und in der letzten Phase des Kalten Krieges im Oval Office resi- diert. Vor allem aber, betont Meacham, war er der letzte Patrizier im Weißen Haus – ein Privilegierter, der den Grundsatz des „noblesse oblige“ernst nahm.
Von seinem Vater Prescott, einem Wall-Street-Banker, der später Senator wurde, erbte Bush die Überzeugung, dass sich mit- hilfe persönlicher Beziehungen vieles regeln ließ – quasi unter Gentlemen bei einem Whiskey. Immer vorausgesetzt, man ließ den anderen das Gesicht wahren.
Visionen seien nicht sein Ding, er sei ein praktischer Mensch, sagte er selbst. Seine Amtszeit vom 20. Jänner 1989 bis zum 20. Jänner 1993 war von historischen Umwälzungen geprägt: dem Mauerfall, der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Er aber unterließ alles, was nach Triumphgeheul hätte klingen können. Nichts sollte den Reformer Michail Gorbatschow in Verlegenheit bringen, nichts die Generäle in Moskau veranlassen, doch noch Panzer rollen zu lassen. Er werde „nicht auf der Mauer tanzen“, brachte es Bush auf einen markanten Satz.
Kein Öl ins Feuer gießen
George Mitchell, im Senat damals die Nummer eins der Demokraten, empfahl ihm, nach Berlin zu fliegen, um mit einer großen Rede das Ende des Kommunismus zu feiern. Bush hielt das für keine gute Idee, es hätte in seinen Augen bedeutet, es Gorbatschow noch einmal aufs Butterbrot zu schmieren. „Mein Gott, der Kerl muss verrückt sein, sonst würde er nicht vorschlagen, Öl ins Feuer zu gießen“, vertraute er seinem Tagebuch an, was er von Mitchells Vorschlag hielt.
Während Margaret Thatcher die deutsche Wiedervereinigung vehement ablehnte, half Bush mit besonnener Diplomatie, die Weichen zu stellen. Nun würden sich die Deutschen in Friedenszeiten holen, was Hitler im Krieg nicht erreicht habe, warnte die argwöhnische Britin. Der Amerikaner sah es deutlich gelassener: Er sei zwar nicht naiv, aber er glaube nicht, dass die Geschichte Deutschlands Zukunft bestimmen sollte, notierte er im Februar 1990. Es sei beleidigend, den Deutschen zu unterstellen, sie würden die Demokratie aufgeben und eine Art neuen Hitler zulassen, seien sie erst einmal vereinigt. Zugleich stellte Bush klar, dass ein geeintes Deutschland eingebettet sein müsse in ein geeintes Europa. Allein schon, um den Nachbarn die Angst vor einem übermächtigen Koloss in der Mitte des Kontinents zu nehmen. p Interview mit George H. W. Bush von 2009, außenpolitische Analyse, Reaktionen auf Bushs Tod sowie Nachruf: derStandard.at/USA