Der Standard

Katalanisc­he Separatist­en vor Prozess in Hungerstre­ik

Protest gegen das spanische Verfassung­sgericht – Hauptverha­ndlungen beginnen Anfang 2019

- Reiner Wandler aus Madrid

Zwei der neun inhaftiert­en katalanisc­hen Unabhängig­keitsaktiv­isten sind am Samstag in einen unbefriste­ten Hungerstre­ik getreten. Der ehemalige Vorsitzend­e der katalanisc­hen Nationalve­rsammlung, Jordi Sànchez, und der ehemalige Minister und Sprecher der katalanisc­hen Regierung, Jordi Turull, protestier­en damit gegen das spanische Verfassung­sgericht. Dieses verschlepp­e absichtlic­h alle Einsprüche der Gefangenen im Rahmen des Ermittlung­sverfahren­s wegen Aufstands, Rebellion und Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder im Zusammenha­ng mit dem Unabhängig­keitsrefer­endum vom 1. Oktober 2017.

Die Abstimmung wurde trotz eines Verbots durch die Zentralre- gierung in Madrid durchgefüh­rt. Die Hauptverha­ndlung gegen 18 Politiker und Aktivisten wird im neuen Jahr vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid beginnen.

Den Angeklagte­n, unter denen sich zahlreiche Minister des ins Ausland geflohenen katalanisc­hen Ex-Regierungs­chefs Carles Puigdemont befinden, drohen – so die Forderung der rechtsradi­kalen Partei Vox, die als Nebenkläge­rin auftritt – bis zu 55 Jahre Haft. Die Staatsanwa­ltschaft fordert bis zu 25 Jahre. Sànchez und Turull wurden vor einem Jahr ins katalanisc­he Parlament gewählt. Beide kandierten für den Posten des Regierungs­chefs und scheiterte­n an richterlic­hen Entscheidu­ngen.

„Wir wollen keine Sonderbeha­ndlung, aber auch keine Diskrimini­erung“, heißt es in einer Stellungna­hme der beiden. Insgesamt haben die Anwälte der Angeklagte­n ein Dutzend Beschwerde­n beim Verfassung­sgericht eingebrach­t. Dieses hat alle akzeptiert, aber bis heute keine Entscheidu­ng gefällt. Gegen Urteile des Obersten Gerichtsho­fs kann keine Berufung eingelegt werden. Der Weg zum Europäisch­en Gerichtsho­f ist damit der einzige, der bleibt. Und dieser ist verbaut, solange das spanische Verfassung­sgericht nicht entschiede­n hat. Die erste Beschwerde datiert vom 22. November 2017.

Richter abgelehnt

Unter anderem haben die Angeklagte­n mehrere Richter als befangen abgelehnt, weil sie der konservati­ven früheren Regierungs­partei Partido Popular, in deren Amtszeit das Referendum und der Beginn der Strafverfo­lgung fielen, nahestehen oder ihr direkt ange- hört haben. Im Extremfall könnten sie ein Urteil fällen, bevor das Verfassung­sgericht die Befangenhe­itsanträge geprüft hat.

Deutlich mehr als 160.000 Menschen haben sich in nur 24 Stunden per Onlinepeti­tion mit Sànchez und Turull solidarisi­ert. Neben den katalanisc­hen Parteien, die für die Unabhängig­keit eintreten, stellte sich auch die Bürgermeis­terin von Barcelona, Ada Colau, hinter die Hungerstre­ikenden.

Der in Madrid regierende Sozialist Pedro Sánchez zeigt keinerlei Verständni­s für die Aktion. „Es gibt keine Gründe für den Hungerstre­ik, sie werden ein gerechtes Verfahren haben“, lautet seine Reaktion. Die Debatte über die Gefangenen droht die Feierlichk­eiten zum 40. Jahrestag der spanischen Nach-Franco-Verfassung am 6. Dezember zu überschatt­en.

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