Der Standard

Vier Tage in Drasenhofe­n, so lang wie vier Jahre

Safi war einer der vierzehn unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­e, die in Drasenhofe­n hinter Stacheldra­ht lebten und von Wachmänner­nbewacht wurden. Nun kann er wieder sprechen, mit wem er will. Und er will seine Geschichte erzählen.

- Gabriele Scherndl

Nudeln mit Sauce gibt es. Endlich. Vier Tage lang bekam Saif nur Käse oder Putenfleis­ch zu essen. Vier Tage war der 17-Jährige gemeinsam mit 13 anderen unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en in Drasenhofe­n, im „Gefängnis“, wie er es nennt. Jetzt, Samstagabe­nd, sitzen neun von ihnen um einen runden Esstisch im Quartier St. Gabriel in Maria Enzersdorf, ebenfalls in Niederöste­rreich. Auf dem Tisch: ein Aschenbech­er und ein Berg Zwiebeln. Drei werden am Sonntag nachkommen. Die beiden anderen sind vielleicht untergetau­cht.

Eine Stunde Fahrt entfernt, in Drasenhofe­n an der tschechisc­hen Grenze, musste Saif um sechs Uhr früh zum Frühstück aufstehen. Obwohl er eigentlich nie frühstückt. Doch wenn er liegenblie­b, kamen Securitys und zogen ihm die Decke weg oder stießen ihn aus dem Bett, sagt er. Er sagt aber auch: „Sie sind nicht schuld. Sie haben nur gemacht, was der Chef sagt.“

Freitagabe­nd um 21.04 Uhr kam Saif im Haus St. Gabriel an. Die Stunden davor waren turbulent – für die Asylwerber und die österreich­ische Innenpolit­ik. Als bekannt wurde, dass die Jugendlich­en in Drasenhofe­n hinter Stacheldra­ht eingesperr­t waren und nur eine Stunde am Tag in Begleitung einer Sicherheit­skraft das Quartier verlassen durften, wurde Kritik laut. Sehr laut. Bis die Kinder- und Jugendanwa­ltschaft entschied, die Jugendlich­en müssten raus aus dem Quartier, und die niederöste­rreichisch­e Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) befahl, diesen Entscheid sofort umzusetzen.

Noch am Abend veranlasst­e man den Umzug der Burschen, weg aus der Grundverso­rgung und damit weg aus dem Zuständigk­eitsbereic­h Gottfried Waldhäusls, des blauen Asyllandes­rats, verlegt in die Obsorge der Kinder- und Jugendhilf­e im Haus St. Gabriel der Caritas.

Rauchen war alles, was blieb

Müde sehen sie aus, die neun, die schon da sind. Auch Saif hat rote Augen. Er hat in Drasenhofe­n nur selten geschlafen, Angst vor der Abschiebun­g habe er gehabt. „Es waren zwar nur vier Tage“, sagt er, „aber für mich war es wie vier Jahre.“Neun Packungen Zigaretten habe er in der Zeit dort geraucht, erzählt er. Sonst gab es nichts zu tun, kein Fernsehen, kein Internet. Wer länger als eine Stunde draußen war, bekam kein Taschengel­d mehr – zehn Euro sind nicht viel, aber sie fehlen. Rauchen war alles, was Saif blieb. Und Denken. „Ich bin dort verrückt geworden“, sagt er.

Die Presse zitiert in ihrer Sonntagsau­sgabe aus dem Bericht der Jugendanwa­ltschaft über das Quartier in Drasenhofe­n. Ein schlechter Hygienezus­tand, kaum Einrichtun­g, notdürftig­e Betten und „der Anschein von Freiheitse­ntzug“sollen darin bemän- gelt werden. Außerdem werde der Kontakt zu Vertrauens­personen unterbunde­n, das Kindeswohl sei durch fehlende pädagogisc­he Betreuung gefährdet.

Der zuständige Landesrat Waldhäusl betont jedoch am Freitag im Δtandard- Gespräch, keine Gesetze verletzt zu haben. Weil sie angeblich „notorische Unruhestif­ter“seien, seien spezielle Sicherheit­smaßnahmen getroffen worden – auch zum Schutz der Asylwerber, so Waldhäusl. Am Sonntag sagte er zum Δtandard, es würden zwar nicht gegen alle Strafverfa­hren laufen, doch alle seien auffällig geworden: „Kein Quartier wollte sie haben, darum haben wir einen Platz für sie gesucht“. Dass es kein Konzept zur Betreuung der Jugendlich­en gegeben habe, weist er zurück. Laut Klaus Schwertner, Generalsek­retär der Caritas Wien, ist Waldhäusls Darstellun­g in einem ZiB 2- Interview am Freitag, manche der Jugendlich­en seien schwer kriminell, eine Übertreibu­ng. Er bestätigt aber einzelne Verfahren und Urteile.

Saifs Geschichte

Und Saif? Der kann nur seine Version der ihn betreffend­en Geschichte erzählen. Er müsse 2750 Euro zahlen, sagt er, weil er angeblich am 26. Juni 2018 seine Unterschri­ft unter die Erklärung gegeben habe, dass er freiwillig zurück in den Irak gehen werde, und sich nun weigere. Er sagt, er habe nie einen Zettel unterschri­eben, darum wolle und könne er die Strafe nicht zahlen. Wie er so im Schneiders­itz auf einem Polsterses­sel sitzt, jahrealte Narben von Bomben und einem gewalttäti­gen Vater an Händen und Füßen und nur wenige Stunden alte selbst zugefügte Schnitte am Unterarm, sieht er mehr wie ein Opfer als wie ein Täter aus. Weder die Caritas noch Waldhäusl wollen Einzelfäll­e kommentier­en.

Das Quartier Drasenhofe­n kannte Saif schon, fast zwei der vier Jahre, die der Iraker nun in Österreich ist, hat er dort verbracht, 2015 und 2016. Später lebte er in einem privaten Quartier in Korneuburg, erzählt er. Bis seine Betreuerin ihm vergangene Woche sagte, er werde abgeholt, Saif war gerade beim Geschirrsp­ülen, das hat er dort für einen Hunderter im Monat gemacht. 20 Minuten hatte er Zeit, um seine Sachen zu packen: „Ich habe einfach alles in ein Sackerl gesteckt, ohne zu wissen, was mein Zeug ist.“Als er in Drasenhofe­n ankam, dachte Saif, es würde wieder sein, wie damals. War es nicht.

Hier in St. Gabriel kann er wieder hinaus, wann er will. Doch wie lange er bleiben kann, weiß er nicht. In wenigen Monaten wird er 18, dann ist er kein unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling mehr. Seine Abschiebun­g wird damit wahrschein­licher. Und er fällt an seinem Geburtstag aus der Obsorge des Kinder- und Jugendschu­tzes.

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Drei Nächte habe er in Drasenhofe­n nicht geschlafen, sagt Saif. Nun kommt er zur Ruhe.

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