Vier Tage in Drasenhofen, so lang wie vier Jahre
Safi war einer der vierzehn unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die in Drasenhofen hinter Stacheldraht lebten und von Wachmännernbewacht wurden. Nun kann er wieder sprechen, mit wem er will. Und er will seine Geschichte erzählen.
Nudeln mit Sauce gibt es. Endlich. Vier Tage lang bekam Saif nur Käse oder Putenfleisch zu essen. Vier Tage war der 17-Jährige gemeinsam mit 13 anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Drasenhofen, im „Gefängnis“, wie er es nennt. Jetzt, Samstagabend, sitzen neun von ihnen um einen runden Esstisch im Quartier St. Gabriel in Maria Enzersdorf, ebenfalls in Niederösterreich. Auf dem Tisch: ein Aschenbecher und ein Berg Zwiebeln. Drei werden am Sonntag nachkommen. Die beiden anderen sind vielleicht untergetaucht.
Eine Stunde Fahrt entfernt, in Drasenhofen an der tschechischen Grenze, musste Saif um sechs Uhr früh zum Frühstück aufstehen. Obwohl er eigentlich nie frühstückt. Doch wenn er liegenblieb, kamen Securitys und zogen ihm die Decke weg oder stießen ihn aus dem Bett, sagt er. Er sagt aber auch: „Sie sind nicht schuld. Sie haben nur gemacht, was der Chef sagt.“
Freitagabend um 21.04 Uhr kam Saif im Haus St. Gabriel an. Die Stunden davor waren turbulent – für die Asylwerber und die österreichische Innenpolitik. Als bekannt wurde, dass die Jugendlichen in Drasenhofen hinter Stacheldraht eingesperrt waren und nur eine Stunde am Tag in Begleitung einer Sicherheitskraft das Quartier verlassen durften, wurde Kritik laut. Sehr laut. Bis die Kinder- und Jugendanwaltschaft entschied, die Jugendlichen müssten raus aus dem Quartier, und die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) befahl, diesen Entscheid sofort umzusetzen.
Noch am Abend veranlasste man den Umzug der Burschen, weg aus der Grundversorgung und damit weg aus dem Zuständigkeitsbereich Gottfried Waldhäusls, des blauen Asyllandesrats, verlegt in die Obsorge der Kinder- und Jugendhilfe im Haus St. Gabriel der Caritas.
Rauchen war alles, was blieb
Müde sehen sie aus, die neun, die schon da sind. Auch Saif hat rote Augen. Er hat in Drasenhofen nur selten geschlafen, Angst vor der Abschiebung habe er gehabt. „Es waren zwar nur vier Tage“, sagt er, „aber für mich war es wie vier Jahre.“Neun Packungen Zigaretten habe er in der Zeit dort geraucht, erzählt er. Sonst gab es nichts zu tun, kein Fernsehen, kein Internet. Wer länger als eine Stunde draußen war, bekam kein Taschengeld mehr – zehn Euro sind nicht viel, aber sie fehlen. Rauchen war alles, was Saif blieb. Und Denken. „Ich bin dort verrückt geworden“, sagt er.
Die Presse zitiert in ihrer Sonntagsausgabe aus dem Bericht der Jugendanwaltschaft über das Quartier in Drasenhofen. Ein schlechter Hygienezustand, kaum Einrichtung, notdürftige Betten und „der Anschein von Freiheitsentzug“sollen darin bemän- gelt werden. Außerdem werde der Kontakt zu Vertrauenspersonen unterbunden, das Kindeswohl sei durch fehlende pädagogische Betreuung gefährdet.
Der zuständige Landesrat Waldhäusl betont jedoch am Freitag im Δtandard- Gespräch, keine Gesetze verletzt zu haben. Weil sie angeblich „notorische Unruhestifter“seien, seien spezielle Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden – auch zum Schutz der Asylwerber, so Waldhäusl. Am Sonntag sagte er zum Δtandard, es würden zwar nicht gegen alle Strafverfahren laufen, doch alle seien auffällig geworden: „Kein Quartier wollte sie haben, darum haben wir einen Platz für sie gesucht“. Dass es kein Konzept zur Betreuung der Jugendlichen gegeben habe, weist er zurück. Laut Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien, ist Waldhäusls Darstellung in einem ZiB 2- Interview am Freitag, manche der Jugendlichen seien schwer kriminell, eine Übertreibung. Er bestätigt aber einzelne Verfahren und Urteile.
Saifs Geschichte
Und Saif? Der kann nur seine Version der ihn betreffenden Geschichte erzählen. Er müsse 2750 Euro zahlen, sagt er, weil er angeblich am 26. Juni 2018 seine Unterschrift unter die Erklärung gegeben habe, dass er freiwillig zurück in den Irak gehen werde, und sich nun weigere. Er sagt, er habe nie einen Zettel unterschrieben, darum wolle und könne er die Strafe nicht zahlen. Wie er so im Schneidersitz auf einem Polstersessel sitzt, jahrealte Narben von Bomben und einem gewalttätigen Vater an Händen und Füßen und nur wenige Stunden alte selbst zugefügte Schnitte am Unterarm, sieht er mehr wie ein Opfer als wie ein Täter aus. Weder die Caritas noch Waldhäusl wollen Einzelfälle kommentieren.
Das Quartier Drasenhofen kannte Saif schon, fast zwei der vier Jahre, die der Iraker nun in Österreich ist, hat er dort verbracht, 2015 und 2016. Später lebte er in einem privaten Quartier in Korneuburg, erzählt er. Bis seine Betreuerin ihm vergangene Woche sagte, er werde abgeholt, Saif war gerade beim Geschirrspülen, das hat er dort für einen Hunderter im Monat gemacht. 20 Minuten hatte er Zeit, um seine Sachen zu packen: „Ich habe einfach alles in ein Sackerl gesteckt, ohne zu wissen, was mein Zeug ist.“Als er in Drasenhofen ankam, dachte Saif, es würde wieder sein, wie damals. War es nicht.
Hier in St. Gabriel kann er wieder hinaus, wann er will. Doch wie lange er bleiben kann, weiß er nicht. In wenigen Monaten wird er 18, dann ist er kein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling mehr. Seine Abschiebung wird damit wahrscheinlicher. Und er fällt an seinem Geburtstag aus der Obsorge des Kinder- und Jugendschutzes.