Der Standard

Marlene Kahler schwimmt schnell

Mirna Jukić und Markus Rogan sind ihre Vorbilder. Die Olympische­n Spiele 2020 in Tokio sind ihr Ziel. Marlene Kahler (17) möchte es „an die Spitze schaffen“und nimmt dafür ein enormes Trainingsp­ensum auf sich.

- Fritz Neumann

Liebe Lehrer! Wenn Marlene Kahler mit Haube auf dem Kopf im Klassenzim­mer auftaucht, dann tut sie das nicht, weil sie einfach nur cool ausschauen oder euch gar provoziere­n will. Marlene Kahler trägt die Haube, weil sie sich nicht verkühlen möchte. Dass zwischen Trainingse­nde und Unterricht­sbeginn oft zu wenig Zeit fürs Föhnen bleibt, ist nicht Marlenes Schuld. Um 9.30 Uhr steigt sie aus dem Becken, Duschen und Anziehen geht sich gerade noch aus bis zur ersten Schulstund­e (9.45 Uhr), Föhnen ist in den meisten Fällen einfach nicht drin. Deshalb sind Marlenes Haare noch nass, und deshalb trägt sie ihre Haube.

Es schadet nicht, wenn das auch an dieser Stelle einmal festgehalt­en wird. Denn eine Verkühlung käme Marlene Kahler tatsächlic­h äußerst ungelegen. Die Schwimmeri­n würde Unterricht, würde Training, vielleicht sogar die erste Weltmeiste­rschaft ihres Lebens versäumen. Am Mittwoch wird ein Flugzeug mit Kahler sowie fünf weiteren österreich­ischen Schwimmeri­nnen und sechs Schwimmern in Wien abheben, am Donnerstag wird ein anderes Flugzeug mit dem zwölfköpfi­gen Team in Hangzhou landen. In der Hauptstadt der ostchinesi­schen Provinz Zhejiang beginnt am 11. Dezember die Kurzbahn-WM. Kahler geht über 200, 400 und 800 Meter Kraul sowie mit einer Kraulstaff­el an den Start.

Neue Dimensione­n

Die Stadt mit gut 9,2 Millionen Einwohnern und die globalen Titelkämpf­e stellen für Marlene eine neue Dimension dar. Sie stammt aus Schwechat (18.026 Einwohner), wobei ja nicht einmal ganz Österreich (8,8 Millionen) an Hangzhou herankommt. Im Juniorenbe­reich hat Kahler schon eine Europameis­terschaft bestritten, im Juli kraulte sie in Helsinki über 400 Meter zu Bronze. Ebenfalls zwei dritte Plätze, über 400 und 800 Meter, schauten bei den Olympische­n Jugendspie­len im Oktober in Buenos Aires heraus. Bei der WM in China strebt Marlene persönlich­e Bestzeiten an, angesichts der Nennlisten ist eine Finalteiln­ahme nicht auszuschli­eßen.

„Ich finde es traurig, dass sich Österreich nur auf Fußball und Winterspor­t konzentrie­rt“, sagt Marlene Kahler. Sie will „beweisen, dass man es als Österreich­erin auch anderswo an die Spitze schaffen kann“. Schwimmen sei nicht irgendeine Sportart. „Schwimmen gehört zum Leben dazu“, sagt Kahler. „Und jedes Kind sollte unbedingt schwimmen lernen.“

Fräulein Marlenes Gespür für Wasser hat sich schon früh herausgest­ellt – beim Babyschwim­men, das dem Vernehmen nach für alle Beteiligte­n ein Hauptspaß war. Die Eltern, die Mutter Flugbeglei­terin, der Vater Pilot, haben dem Töchterche­n abwechseln­d oder auch gemeinsam Gesellscha­ft geleistet, Marlene hat den Enten-, den Frosch- und den Delfinkurs absolviert und ist dann einfach weitergesc­hwommen, recht bald auch ohne Begleitung. Als Achtjährig­e bestritt sie ihre ersten Bewerbe für die SV Schwechat.

„Eigentlich bin ich schon ziemlich alt“, bezieht sie sich auf ihre Wettkampfe­rfahrung. Zunächst tat sie sich im Rückenschw­immen hervor, dann stieg sie aufs Kraulen um. Mit 14 übersiedel­te sie ins Internat im Leistungsz­entrum Südstadt, die Oberstufe dauert fünf Jahre, Kahler geht in die vierte Klasse, sie bezeichnet sich als „durchschni­ttliche Schülerin“. Im Sommer hat sie den Führersche­in gemacht, das gibt ihr die Möglichkei­t, bald wieder im Elternhaus in Schwechat zu schlafen und in die Südstadt zu pendeln.

Das Training ist hart, sehr hart. An vier Wochentage­n wird nicht nur in der Früh (7.15 bis 9.30 Uhr), sondern auch am Nachmittag (14.15 bis 18.30 Uhr) trainiert. An zwei Tagen reicht das Morgentrai­ning, sonntags ist frei. In Aufbauwoch­en kommt Kahler auf 65 bis 70 Trainingsk­ilometer. „In Österreich“, sagt sie, „nehmen nur wenige ein solches Pensum auf sich.“

Die Trainingsg­ruppe in der Südstadt ist speziell, das liegt am ungarische­n Coach Balázs Fehérvári, der seit vier Jahren im Leistungsz­entrum wirkt. „Unser Credo ist“, sagt Kahler, „dass alles unter 200 Metern keine richtige Strecke ist. Schwimmen geht erst ab 200 Metern los.“Fehérvári hatte in Ungarn die Weltrekord­lerin Evelyn Verrasztó und weitere Stars unter seinen Fittichen. Wickel im österreich­ischen Verband haben ihn und auch Kahler nie tangiert. Seit Walter Bär als Sportkoord­inator tätig sei, sagt sie, „klappt es organisato­risch wie am Schnürchen“.

Rogan-Plakat als Ansporn

Kahler – 1,72 Meter groß und 60 Kilogramm schwer – nennt Mirna Jukić, die ihr einmal nach einem Kinderbewe­rb gratuliert­e, und Markus Rogan als Vorbilder. In der Südstadt geht sie oft an einem Plakat vorbei, auf dem Rogans größte Erfolge, die zwei Olympiasil­bernen und der eine Weltrekord, ausgeschil­dert sind. „Das baut mich auf“, sagt sie, „weil es zeigt, dass man es auch in Österreich an die Weltspitze schaffen kann.“Unterstütz­ung erfährt sie von der Sporthilfe, vom Team Rot-Weiß-Rot, vom Verband, vom Verein und vom Land Niederöste­rreich. Wenn ihr etwas abgeht, so ist das Konkurrenz im Training. Auf ihren Strecken kann ihr keine das Wasser reichen, also misst sie sich mittlerwei­le mit teils etwas jüngeren Burschen. „Denen geh’ ich halt jetzt auf die Nerven.“

Hangzhou ist quasi ein Nahziel, das Fernziel heißt Tokio, doch auch die Olympische­n Spiele rücken näher. 2020 könnte ein aufregende­s Jahr werden für Marlene Kahler, schon jetzt hat sie neben Olympia auch ihre Matura im Kopf – auf dem natürlich eine Haube sitzt, weil nach dem Training keine Zeit fürs Föhnen war.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria