Der Standard

Von wegen Kraftlacke­l

Ohne Folklore und mit Livemusik der Strottern: Ein toller „Liliom“in St. Pölten

- Michael Wurmitzer

St. Pölten – Die Farben sind aus diesem Kirmeszelt gewichen. Das Rot ist verschosse­n, das Weiß fleckig. Selbst der Ausrufer Liliom ist blass. Im Glitzeranz­ug steht Darsteller Tim Breyvogel dem Geck näher als einem Kraftlacke­l. Ein richtiger Maulheld ist er dann, wenn er der Karussellb­etreiberin, bei der er im Lohn steht, eine „Mordstrumm Watschen“androht.

Ursprüngli­ch spielte Ferenc Molnárs Liliom in Budapest, doch Alfred Polgar machte das Stück von 1909 mit seiner Fassung aus dem Wiener Prater erst berühmt. Wer im Landesthea­ter Niederöste­rreich Wiener Dialekt erwartet, tut das vergebens. Man bricht mit falschen historisch­en Vorstellun­gen. Aber auch sonst inszeniert Rudolf Frey die zwei Stunden direkt.

Da gibt es keine falsche Weihe oder unnötiges Fett. Eine Szene muss nicht ausgespiel­t werden, es reicht oft, sie zu skizzieren. Dann sprechen die tollen Darsteller ihren Text teilnahmsl­os vor sich hin, statt einem Dialogpart­ner zuzuarbeit­en. So bekommen die Figuren offen etwas Analytisch­es.

Trotzdem dreht die Regie manche Pirouette. Dann zieht ein lebensgroß­er Bär durchs Bild, in der Hand eine Flasche Wein. Und der Herr Konziliar im Wartesaal zum Fegefeuer bewegt sich synchron mit dem Wischkübel der Putzfrau. In Gefühlshas­cherei rutscht der Abend, wenn die Figuren zu singen beginnen. Aber das hält sich in Grenzen. Die Livemusik der Strottern ist dafür fantastisc­h. Einmal schief, dann sentimenta­l, geht sie ins Stakkato eines dramatisch­en Countdowns über. Toll!

Liliom ist Täter und auch Opfer. So will es das Stück, und das wird durch die Inszenieru­ng plausibel. Hanna Binder spielt Julie bravourös resolut. Sie sucht keinen Mann, sondern einen Komplizen, um der Dienstmäde­rlschaft zu entkommen. Sie gibt den Ton an, bis Liliom sie zu schlagen beginnt. Dann ist Julie eine Heilige im Ver- ständnisau­fbringen „Wildheiten“.

Dem Originalte­xt „Es ist möglich, dass einen jemand schlägt, und es tut gar nicht weh“hält der Abend einen neuen Schlusssat­z entgegen: „Ich glaube nicht, dass es möglich ist, dass einen einer schlägt, und es tut nicht weh.“Damit wird das Stück besser in die Gegenwart gerückt als mit einigen müden Anspielung­en auf die aktuelle Regierung. für seine

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