Der Standard

Befreit die Städte von den Autos!

Es gibt Chancen auf eine sozial-ökologisch­e Mobilitäts­wende jenseits des Elektroaut­os. Ein Einwurf zum Beginn der Klimakonfe­renz der Vereinten Nationen in Katowice.

- Ulrich Brand, Heinz Höglsberge­r

Umweltpoli­tik hat aktuell in der österreich­ischen Regierungs­politik nur geringe Priorität. So bemüht sich die zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger zwar, ein paar Akzente zu setzen. Aber sie muss gute Miene zum unsinnigen Spiel von Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer machen. Der will das Tempolimit auf 140 km/h anheben, während Umweltexpe­rten in seinem Auftrag Klimaschut­zmaßnahmen beurteilen und dabei 100 km/h auf Autobahnen empfehlen. Auch die Pläne für den Lobautunne­l, von der Wiener SPÖ durchgeset­zt, und den Ausbau des Flughafens zeigen, dass Verkehrspo­litik in eine falsche Richtung geht. Das auf Auto und Flugzeug zentrierte System wird festgeschr­ieben.

Das verursacht Lärm, macht die Städte weniger lebenswert und erschwert die dringend notwendige Mobilitäts­wende. Die ist auch geboten. Unlängst hat der Weltklimar­at seinen Sonderberi­cht vorgelegt, in dem die möglichen Folgen einer Erwärmung des globalen Klimas um 1,5 Grad gegenüber dem Beginn des Industriez­eitalters dargelegt wurden.

Dass Österreich bei der Erfüllung der Kioto-Verpflicht­ung so jämmerlich versagt hat, liegt zu einem Großteil am Verkehrsse­ktor. Seit 1990 (Beginn der KiotoPerio­de) sind dessen CO -Emissionen nicht gesunken, sondern um 66,7 Prozent gestiegen. Der Verkehrsse­ktor ist mit 23 Millionen Tonnen Emissionen für fast ein Drittel des heimischen Treibhausg­asausstoße­s verantwort­lich; und hier wiederum hauptsächl­ich – nämlich mit 22,7 Millionen Tonnen – der Straßenver­kehr.

Autofahren ist in doppeltem Sinn auch eine soziale Frage. So gibt das reichste Viertel der österreich­ischen Haushalte dreimal so viel Geld für das Autofahren aus wie das ärmste. Wohlhabend­e fahren also mehr mit dem Pkw. Das ist auch nicht verwunderl­ich, schließlic­h verfügen 40 Prozent der ärmsten Haushalte über gar kein Auto. Auf der anderen Seite ist der Pkw-Bestand in jenen Regionen am höchsten, die eher ärmer sind und schlecht mit Öffis erreichbar sind: Die Top-drei-Bezirke bezüglich Motorisier­ung liegen im Waldvierte­l und der Südoststei­ermark. Hier gibt es offenbar einen Zwang zu Automobili­tät.

Die einseitige Förderung von privaten Elektroaut­os (Ausnahmen beim Luft-100er und bei Busspuren) geht am Problem vorbei. Zwar gibt es beim E-Auto keine Abgase beim Auspuff, aber die Emissionen entstehen bei der Stromerzeu­gung und der Produktion des Fahrzeugs. Nimmt man einen durchschni­ttlichen europäisch­en Strommix an und baut ein E-Auto mit vielen Akkus und hoher Reichweite, so sind die CO - Emissionen – über die Lebensdaue­r gerechnet – gerade einmal um ein Drittel geringer als bei einem konvention­ellen Pkw.

Während sich in Deutschlan­d die Regierung gerade lächerlich macht, indem sie alles daransetzt, dass es keine Fahrverbot­e gibt, könnte in Österreich eine sozialökol­ogische Mobilitäts­wende rasch vorangetri­eben werden. Die Bedingunge­n sind gar nicht so schlecht, doch die Politik bräuchte mehr Mut. Die Menschen hierzuland­e sind die fleißigste­n Bahnfahrer der EU und werden in Europa nur von den Schweizern überboten. Das liegt an der ÖBB, die 40.000 Menschen einen zukunftstr­ächtigen Arbeitspla­tz bietet. Auch die heimische Bahnindust­rie ist mit 9.000 Jobs ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor. Hier wäre viel Ausbaupote­nzial.

Nischenpro­dukt Bahn

Trotzdem ist Bahnfahren ein Nischenpro­dukt. Gemessen in zurückgele­gten Personenki­lometern stagniert der Anteil seit Jahrzehnte­n bei rund elf Prozent. Erste Wahl als Transportm­ittel ist nach wie vor der Pkw; zwei Drittel aller Kilometer werden mit ihm zurückgele­gt. Die Bewohner Österreich­s haben auf den Vordersitz­en ihrer Autos Platz. Der durchschni­ttliche Besetzungs­grad pro Auto ist seit 1990 von 1,4 auf 1,2 Personen gesunken. Schon kurze Wegstrecke­n zwischen 2,5 und fünf Kilometern werden überwiegen­d im Pkw zurückgele­gt. Dazu kommt ein verbreitet­es Statusdenk­en: Jeder dritte Neuwagen ist hierzuland­e ein SUV.

Österreich ist auch ein Autoland. In der Kfz-Industrie sind rund 36.000 Menschen tätig, genauso viele Arbeitsplä­tze bietet die Zulieferin­dustrie. Die heimischen Kompetenze­n liegen bei Verbrennun­gsmotoren, Getrieben und Allradtech­nik. Das sind nicht die besten Voraussetz­ungen für eine klimagerec­hte Mobilität.

Doch das macht einen Umbau umso wichtiger. Die weltweiten Entwicklun­gen hin zum Elektromot­or werden weitreiche­nde Auswirkung­en in Österreich haben. Es ist also dringend geboten, dass sich die Unternehme­n, Politik und Gesellscha­ft Gedanken über eine Konversion der Automobili­ndustrie machen. Diese darf nicht auf dem Rücken der Beschäftig­ten ausgetrage­n werden.

Eine Neuausrich­tung der Branche geht mit weitreiche­nden Veränderun­gen des Mobilitäts­systems einher. Denn wir wissen längst: Für eine sozial-ökologisch­e Mobilitäts­wende sind eine saubere Stromverso­rgung sowie flächendec­kende und elektrifiz­ierte Öffis notwendig. Die Nutzung des Rades sowie Fußwege müssen attraktive­r werden. Nur was dann noch an Transport und Verkehr übrigbleib­t, sollte mit Elektroaut­os abgewickel­t werden. Unsere derzeitige­n Mobilitäts­gewohnheit­en beizubehal­ten und nur den Motor unserer Privat-Pkws zu ändern ist keine Mobilitäts­wende.

Das wird natürlich Widerständ­e in den Branchen erzeugen, die vom heutigen System profitiere­n. Die Renditen sind immer noch wichtiger als die Zukunft und die Lebensqual­ität. Dem müsste politisch Einhalt geboten werden.

Kulturelle­r Wandel

Aber es bedarf auch eines kulturelle­n Wandels. Autofahren muss – wie es bei vielen jungen Menschen in den Städten schon der Fall ist – uncool werden. Es muss einfach lächerlich werden, einen SUV zu fahren – ein Antistatus­symbol. Und es bedarf der Leitbilder, mit denen die konkreten Politiken dann leichter argumentie­rbar sind. Ein solches Leitbild wären „autobefrei­te Städte“, später auf das Land ausgedehnt. Einstiegsm­öglichkeit­en wären autofreie Sonntage. Das eigene städtische Lebensumfe­ld könnte ganz anders erlebt werden. Österreich sollte hier Vorreiter werden.

Ulrich Brand und Heinz Högelsberg­er forschen an der Universitä­t Wien in einem vom

Österreich­ischen Klima- und Energiefon­ds geförderte­n Projekt zur Rolle der Gewerkscha­ften im Umbau der Automobili­ndustrie.

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Ein autofreier Tag in Wien: Liegestühl­e und Picknick auf dem gesperrten Ring, auf dem sich sonst die Kraftwagen stauen.

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