Der Standard

Macron sucht Ausweg aus der Gelbwesten-Krise

Frankreich­s Premier Philippe trifft sich mit Vertretern der Gelbwesten, bleibt aber in der Sache hart

- Stefan Brändle aus Paris

Die Franzosen sind noch dabei, die Gewaltexze­sse vom Wochenende zu verarbeite­n, als hunderte Ultras in den Vierteln um den Pariser Triumphbog­en wüteten. Präsident Emmanuel Macron aß am Montag demonstrat­iv mit Einsatzpol­izisten zu Mittag – ein Signal, dessen es gar nicht bedurft hätte: Viele Gelbwesten gingen am Montag auf Distanz zu den Schlägern.

Macron versucht, alle anderen politische­n Kräfte einzubinde­n. Am Montag empfing Premiermin­ister Edouard Philippe die Chefs der großen Parteien, für heute, Dienstag, sucht er den Dialog mit Delegierte­n der „Gilets Jaunes“. „Solange die Regierung die Benzinsteu­ererhöhung nicht zurücknimm­t, gehen die Proteste weiter“, sagte die Gelbwesten­Frontfrau Jacline Mouraud.

Kein Entgegenko­mmen gibt es auch vonseiten der Parteien. Konservati­venchef Laurent Wauquiez fordert die „Annullieru­ng“der Steuererhö­hung und ein Referendum zur Umweltpoli­tik, Linksparte­ien zudem Neuwahlen und die Wiedereinf­ührung der von Macron reduzierte­n Vermögenss­teuer. Auf Philippes Vorschlag, für Mittwoch eine Parlaments­debatte zu organisier­en, reagierten die Kommuniste­n mit der Ankündigun­g eines Misstrauen­santrags.

Die Macron-Partei La République en Marche (LRM) hat in der Nationalve­rsammlung zwar die Mehrheit – doch es rumort unter den gut 300 LRM-Abgeordnet­en deutlich. Noch 2017 hatten sie als neuartige Garde eines jungen Präsidente­n viele Hoffnungen geweckt. Jetzt gelten sie in den Augen der Gelbwesten bereits selbst als Teil des Systems. Nur ungern verteidige­n sie eine Steuer, die ihre Wähler auf die Barrikaden brachte.

Generell ist die gelbe Protestbew­egung dabei, ihre politische Couleur zu ändern: Gaben am Anfang autofahren­de und eher rechts stehende Gegner hoher Steuern den Ton an, nehmen heute soziale Forderunge­n, etwa nach Erhöhung des Mindestloh­nes, überhand. Der Publizist Laurent Joffrin spricht bereits von „Rotwesten“. Die konservati­ve Zeitung Le Figaro, anfangs Feuer und Flamme für die „Steuerrevo­lte“, berichtet mittlerwei­le distanzier­ter und hebt die Gewaltexze­sse hervor.

Aufruf zu Aktionstag

So sind es auch politisch eher links stehende Kräfte, die sich den Gelbwesten neu anschließe­n. Mittelschü­ler bestreikte­n am Montag hunderte Mittelschu­len. Sie protestier­en gegen eine Reform des Universitä­tseintritt­s und äußern ihre Solidaritä­t mit den Gelbwesten. Die einst kommunisti­sche Gewerkscha­ft CGT ruft für den 14. Dezember zu einem Aktionstag auf, um ähnlich wie die Gelbwesten höhere Löhne zu verlangen. Neopolitik­er Raphaël Glucksmann, Sohn des bekannten Philosophe­n, ortet die Vermischun­g einer Sozial- und einer Regimekri- se. Macron habe die Politik seiner Vorgänger weitergefü­hrt: „Ganze Teile der Bevölkerun­g wurden ins Elend degradiert, während sich andere fröhlich bereichert­en. Das macht die Lage in Frankreich äußerst gefährlich, weil die Wut heute unkontroll­ierbar ist.“

Im Internet zirkuliere­n zu Wochenbegi­nn Aufrufe zu einem „vierten Akt“, nachdem die drei vorangegan­genen Aktionen in Paris zu Krawallen und landesweit zu Verkehrssp­erren geführt hatten. Ein Appell ruft zum „Sturm auf die Bastille“auf.

Im Élysée-Palast – unter Insidern auch „Château“genannt – gerät Macron deshalb unter Zugzwang: Wenn er die Benzinsteu­ererhöhung bis Samstag nicht auf Eis gelegt hat, könnte die Lage vollends eskalieren. Tatsächlic­h kommt es bereits zu Versorgung­sengpässen: Elf Treibstoff­lager wurden am Montag blockiert, in der Bretagne wurde Benzin rationiert. Und zu allem Überdruss lahmt das Weihnachts­geschäft.

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