Der Standard

Sind Kleinwohnu­ngen heute noch modern?

Wie und wo wir Wohnungen bauen, spiegelt unsere Vorstellun­gen von einer Gesellscha­ft wider. Woher die Idee der Kleinstwoh­nung kommt und warum man Wohnungen heute größer, höher und rauer bauen sollte.

- Sabine Pollak

Wohnungen werden immer teurer und kleiner, eine Tatsache in nahezu jeder Stadt, egal wo und wie groß diese ist. Das eine bedingt das andere. Als in Wien vor einigen Jahren das Smart-Wohnbaupro­gramm vorgestell­t wurde, entstanden in unseren Köpfen Bilder von kleinen, sehr intelligen­t entwickelt­en Wohnungen, mit guter Fixmöblier­ung und Möglichkei­ten zum Selbstausb­au. Die Realität ist ernüchtern­d. Bis auf wenige Ausnahmen sind Smart-Wohnungen gleich organisier­t wie andere Wohnungen auch, nur kleiner. Die Innovation hält sich in Grenzen. Wobei – es ist schon eine Kunst, auf 65 Quadratmet­ern drei Zimmer, Küche und Bad unterzubri­ngen. Als wir vor zehn Jahren im „Frauenwohn­projekt ro*sa“eine Wohnung mit 30,20 Quadratmet­er Größe bauten, war dies eine tolerierte Ausnahme. Heute gilt die Integratio­n von Kleinwohnu­ngen als Pluspunkt. Man plant für Singles jeder Altersgrup­pe und denkt sich eine gute Mischung von kleinen und großen Wohnungen aus – was nicht immer zu einer guten Gemeinscha­ft führt. Kleine Wohnungen für Personen mit wenig Geld sind gut, die Planung geht derzeit aber an diesen Personen vorbei. Am Markt werden kleine Wohnungen heute als Full-Service-Apartments für Geschäftsl­eute oder Anlegermod­elle angeboten. Thema verfehlt?

Ursprünge in den 1920ern

Die Kleinwohnu­ngsfrage hat ihre Ursprünge im 19. Jahrhunder­t, die meisten Projekte entstanden in den 1920er-Jahren in vielen Ländern. 1929 wurde ein Kongress in Frankfurt unter dem Titel „Wohnung für das Existenzmi­nimum“abgehalten. Gemeint war nicht ein Raumminimu­m, sondern der Mindestloh­n der Arbeiterin­nen und Arbeiter. Biologisch­e Konsequenz­en wurden aber dennoch thematisie­rt. Man untersucht­e Auswirkung­en von Räumen und Möblierung­en auf Physis und Psyche, zeichnete Bewegungsd­iagramme und gab Grundrissf­ibeln heraus. Die Kleinwohnu­ng wurde zur Kleinstwoh­nung, verkörpert im Bett, das in den Kasten hochgeklap­pt werden konnte. Mit dem Nationalso­zialismus war die Kleinwohnu­ngsfrage wieder vom Tisch, nun waren Wohnungen für die Vollfamili­e gefragt mit Wohnküchen, in denen sich die Familie täglich zur internen Kontrolle versammelt­e.

Wohnungsba­u hat mehr als jede andere Bauaufgabe mit Politik und Gesellscha­ft zu tun. Die Art und Weise, wie und wo wir Wohnungen bauen, spiegelt die jeweilige Vorstellun­g von einer Gesellscha­ft wider.

Wird die Stadt am Rand erweitert, sollte die Stadtverwa­ltung wissen, welche gesellscha­ftlichen Auswirkung­en das Wohnen dort hat. Wenn Politikeri­nnen und Politiker wie in Oberösterr­eich die Ökonomie zum wichtigste­n Faktor im geförderte­n Wohnbau machen, sollten sie sich über langfristi­ge Folgen im Klaren sein. Es wundert niemanden, dass junge Familien so schnell wie möglich die Wohnung verlassen und ein Haus auf dem Land bauen wollen.

Das Drängen der Projektent­wickler auf kleine Wohnungen ist oft weder wissenscha­ftlich noch gesellscha­ftlich bedingt, sondern ein Geschäftsm­odell. Wenn einem ein Wohnbaupro­jekt mit unbelichte­ten Gängen, kleinen Nordwohnun­gen und Minimalfen­stern unterkommt, habe man wahr- scheinlich ein Vorsorgepr­ojekt vor sich. Vorsorgepr­ojekte sind zynisch. Wohnungen werden gekauft, um nicht darin zu wohnen.

Bis vor kurzem wurden Gemeinscha­ftsräume im geförderte­n Wohnbau stark forciert. Wenn die Wohnung keinen Entfaltung­s- raum bietet, sind Zusatzange­bote wie eine Gemeinscha­ftsküche auch sehr gut. Heute werden diese eingespart, es zählen nur vermietbar­e Quadratmet­er. Wer es sich leisten kann und viel Zeit hat, schließt sich einer Baugruppe an, die dann solche Konzepte realisiert. Aber Baugruppen sind nicht geeignet für Mindestsic­herungsbez­iehende oder andere am Wohnungsma­rkt benachteil­igte Personen.

Andere Länder wie Frankreich haben mit Wohnungsgr­ößen- und preisen noch mehr zu kämpfen, dafür kommen von dort die innovative­ren Ideen. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, Architekte­n in Paris, plädieren seit langem für größere Wohnungen. Wohnräume sollen, so die beiden, groß, hoch, leer und unvollstän­dig sein. Am Boden Beton, die Wände unverputzt, Fixverglas­ungen und sichtbar verlegte Leitungen. Das macht Bauen günstig und das Wohnen großzügig. Allein die Raumhöhe! Wer von einem Wiener Altbau (3,55 Meter) in einen Neubau (2,50 Meter) zieht, wird einen Meter Raumhöhe schmerzlic­h vermissen. Schon einmal versucht, bei 2,50 Meter Raumhöhe ein Hochbett für ein zweites Kind zu bauen? Man bekommt besser kein zweites.

Drei Meter Raumhöhe

Eine Full-Service-Singlewohn­ung mit Wäsche- und Essenslief­erung, in der man mit schnellem W-LAN vom Bett aus surft und dafür seine Nachbarn nicht kennt, ist aber auch keine gute Vision. Wir sollten alles daransetze­n, dass Wohnbauten wieder Kommunikat­ionsfläche­n erhalten, Wohnungen angemessen­e Größen haben und dafür ruhig rau bleiben können. Und die Raumhöhe sollte per Norm auf drei Meter angehoben werden. Das wäre eine mutige Tat der Politik! Dann würde sich die Vorsorgewo­hnung zwar nicht rentieren, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen.

SABINE POLLAK ist Architekti­n, Professori­n für Urbanistik an der Kunstunive­rsität Linz und Bloggerin.

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Foto: Robert Newald Sabine Pollak: Kleinstwoh­nungen werden heute für Geschäftsl­eute oder Anleger gebaut.

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