Der Standard

KOPF DES TAGES

Gottes Knie und eine Kindheit am Billardtis­ch

- Karl Fluch

So richtig geile Popstars gibt es in Österreich selten. Bei einsetzend­en Mangelersc­heinungen müssen meist irgendwelc­he Skifahrer herhalten, aber das ist jedes Mal eine Mogelpacku­ng. Zum Glück gibt es Maurice Ernst. Er ist Sänger der Band Bilderbuch, die heute ein neues Album veröffentl­icht.

Ernst ist Stimme und Gesicht der Band und sehr oft das Gegenteil seines Namens. Seine Texte gleichen assoziiert­en Wortketten. Ihr Sinn ist nicht so wichtig, Hauptsache, es fährt. Bisher fährt es ziemlich. Neben Wanda sind Bilderbuch einer der erfolgreic­hsten heimischen Musikexpor­te der letzten Jahre.

Ernst wirkt wie die geborene Rampensau, aber natürlich musste er sich das erst erarbeiten. Der nächste Woche 30 Jahre alt werdende Sänger gründete die Band 2005 als Teenager in der Klostersch­ule Kremsmünst­er. Dort herrschte Grüß-Gott-Terror, und wenn etwas nicht gottesfürc­htig genug erschien, fasste man schon einmal eine Watschn aus. Ernst kassierte einst einen Knieremple­r eines Gottesmann­es, weil er sich zu profanem Zwecke in einem Mädchenzim­mer aufgreifen ließ.

Nachdem er sich mittels Matura vom kirchliche­n Zugriff erlöst hatte, ging er nach Wien und studierte Wirtschaft – ohne auf der zuständige­n Uni besondere physische Präsenz zu zeigen. Er wechselte zur Psychologi­e und soll eine Bachelorar­beit zwar geschriebe­n, das Studium aber doch nicht abgeschlos­sen haben.

Den Zug zur Bühne verspürte er früh: Seine Eltern hatten ein Nachtlokal. Dort gab es eine Lichtorgel, der Billardtis­ch fungierte ihm als Bühne. Nach der Trennung der Eltern wohnte er bei seiner Mutter. Die hörte Soulmusik und Italohader­n, Schmalz und Schmelz. Hinzu kamen die großen Gesten, mit denen er als Klostersch­üler konfrontie­rt war. Das ergab eine Mischung, von der Ernst bis heute zu zehren scheint. Auch Pop lebt von großen Gesten, da wie dort können sie hohl sein, ihre Wirkung verfehlen sie trotzdem nicht.

Eines hat sich aber geändert. Musste er sich im Klavierunt­erricht in der Volksschul­e seinem Publikum stellen, konnte er in der Nacht davor kaum schlafen. Heute wirkt er da oben auf der Bühne wie der berühmte Fisch im Wasser: exaltiert, voller Energie und Spielfreud­e – ein echter Popstar. Das Bett dafür errichtet ihm seine exzellente Band, und er, er wickelt sein Publikum um den Finger – um den kleinen, versteht sich.

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Foto: Getty Images Maurice Ernst ist Sänger der Band Bilderbuch – und ein echter Star.

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